Interview mit Leonore Gewessler

„Blick der Öffentlichkeit genau dahin lenken, wo wir ihn brauchen“

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN (PRINT 2022/01)

Leonore Gewessler
Die Veranstaltungsbranche spielt eine bedeutende Rolle, um Antworten darauf zu finden

Der Ukraine-Krieg hat seit Ende Februar 2022 ihren Alltag nahezu komplett bestimmt: Denn die seit Jänner 2020 amtierende Bundesministerin Leonore Gewessler ist mit ihrem Resort nicht nur für Klimaschutz, Umwelt, Mobilität und Innovation zuständig, sondern auch für Energie. Da Österreich rund 80 % seines fossilen Erdgases aus Russland bezieht, gilt es hier, für alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. „Die aktuelle Lage ist ernst und wir beobachten sie genau“, so die Ministerin.

Zeit für das Interview mit dem AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN fand Leonore Gewessler trotzdem, zeichnet ihr Ministerium doch nicht nur für die Initiative „Green Events Austria“ verantwortlich, sondern ist sie als Mobilitäts-Ministerin auch für zwei der wichtigsten Verkehrsträger des MICE-Bereiches zuständig: Für Österreichs Flag-Carrier Austrian Airlines und für die ÖBB. Das Ergebnis des Interviews kann sich jedenfalls sehen lassen. Die gestellten Fragen waren alles andere als „easy“, der Einstieg dafür umso mehr.

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS: Sie sind seit Jänner 2020 Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie. Welche Funktion davon bekleiden Sie am liebsten?

Leonore Gewessler: „Meine Funktion als Klimaschutzministerin ist immer themenübergreifend. Das Ministerium hat alle wesentlichen Themen, Eckpfeiler und Bausteine, die so wichtig sind für die Gestaltung einer klimafreundlichen Zukunft. Mit der Energiewende etwa, also 100 % Strom aus erneuerbaren Energien bis 2030, haben wir einen großen Schritt eingeleitet, der zu einem klimaneutralen Österreich wesentlich beiträgt. Aber auch in der Mobilität, wo die großen Potentiale für mehr Klimaschutz in Österreich liegen, haben wir bereits einiges auf den Weg gebracht. Es gibt also ganz unterschiedliche Felder die zusammenspielen und miteinander verknüpft sind und für den Klimaschutz ganz wesentlich sind.“

Veranstaltungen ohne Greenwashing

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS: Ihr Ministerium zeichnet sich für die Initiative „Green Events Austria“ verantwortlich. Wie sind Sie mit der bisherigen Bilanz zufrieden?

Leonore Gewessler: „Wir arbeiten bereits seit 2008 mit den Bundeländerinitiativen zur nachhaltigeren Gestaltung von Veranstaltungen zusammen. In dieser Zeit wurden jährlich etwa
20 Veranstaltungen direkt beraten und ungefähr 500 pro Jahr im Rahmen der Bundesländerinitiativen unterstützt. Dabei geht es, neben zu erfüllenden Mindestkriterien, unter anderem um Abfallvermeidung oder wie man die Anreise klimafreundlich gestalten kann. Parallel dazu wurde 2010 das Österreichische Umweltzeichen für Green Meetings und Green Events entwickelt. Es richtet sich stärker an professionelle bzw. gewerbliche Veranstalter und ist das offizielle staatlich anerkannte Umweltzertifikat. Das war auch die Motivation, warum die österreichische Tagungswirtschaft für die Entwicklung dieses einheitlichen Standards eintrat. Damit können Kongresse auch im internationalen Umfeld eindeutig nachhaltig positioniert werden und das Tagungsland Österreich kann Flagge zeigen. Das Umweltzeichen ist aber auch ein Instrument für Unternehmen und Organisationen, um ohne Greenwashing-Risiko Veranstaltungen grün durchzuführen. Seit 2011 wurden so ca. 1.500 Veranstaltungen offiziell zertifiziert, mit
steigender Tendenz. Ich finde das ist eine durchaus zufriedenstellende Bilanz.“

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS: Wird das Umweltzeichen also Ihrer Meinung nach ausreichend genutzt?

Leonore Gewessler: „Die Zahl der offiziell als Green Meeting oder Green Event durchgeführten Veranstaltungen kann natürlich immer gerne etwas höher sein. Allerdings ist es auch eine der Aufgaben und Ziele des Österreichischen Umweltzeichens, immer gemeinsame ökologische Standards zu setzen und für andere Veranstalter Orientierung zu bieten. Viele Veranstaltungen eigenen sich aufgrund der Rahmenbedingungen manchmal nicht für eine umfassende Zertifizierung. Es bleibt aber immer die Möglichkeit, sich an den umsetzbaren Kriterien zu orientieren und hier weitere Schritte in Richtung mehr Klimaschutz zu setzen.“

Überprüfung der Umweltzeichen-Kriterien

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS: Wo gibt es also konkrete Möglichkeiten zur Verbesserung und wann werden diese umgesetzt?

Leonore Gewessler: „Unterstützungsmöglichkeiten für Veranstalter, ihre Events klimafreundlicher zu gestalten, gibt es sowohl von Seiten des Umweltzeichens mit seinem Netz an Berater*innen als auch für kleinere Veranstaltungen mit den Bundesländerinitiativen. Aktuell werden die Kriterien des Österreichischen Umweltzeichens für Green Meetings und Green Events im Rahmen der regelmäßigen Überarbeitung auf den Prüfstand gestellt und Anpassungen sowie Erweiterungen zur besseren Anwendbarkeit in der Praxis diskutiert.“

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS: Das Umweltzeichen ist eine Sache. Wie sieht es in anderen Bereichen aus? Nehmen wir als Beispiel die Förderung der MICE-Betriebe seitens des Bundes für den Einsatz von umweltschonenden Technologien. Gibt es Projekte hierzu?

Leonore Gewessler: „Wie für alle anderen Betriebe gibt es natürlich auch für Veranstaltungsbetriebe die Möglichkeit über die Umweltförderung im Inland entsprechende Förderungen zu beantragen, die etwa die Energieeffizienz, die erneuerbare Stromproduktion oder die Umstellung auf ein klimafreundlicheres Heizsystem eines Betriebes betreffen.“

Volle Kraft für die Bahn

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS: Welche Rolle spielt dabei die Bahn? Vor einem Jahr betonten Sie, dass sie das Herzstück der europäischen Mobilitätswende sei. Wie ist das konkret zu verstehen?

Leonore Gewessler: „In Europa haben wir im Vergleich zu anderen Kontinenten erfreulicherweise ein sehr dichtes Bahnnetz. Für eine klimafreundliche Mobilität der Zukunft und die dafür erforderlichen Mobilitätswende ist das ein großer Vorteil, denn der Bahnverkehr ist nicht nur klimafreundlich, sondern auch sehr energieeffizient. Diese Vorteile gilt es zu nutzen und weiter zu verstärken. Wir bauen deshalb in Österreich die Bahn in den nächsten Jahren stark aus und haben dafür ein Bündel an Maßnahmen geschnürt. Das bisher größte Investitionspaket in die Eisenbahninfrastruktur in der Geschichte der Republik wurde auf den Weg gebracht. Die Möglichkeiten, welche durch die verbesserte Infrastruktur entstehen, nutzen wir mit einem deutlichen Ausbau des Verkehrsangebotes auf der Bahn. Darüber hinaus sorgen wir auch für günstige und leistbare Tarife, wie das Klimaticket, welches letzten Herbst eingeführt worden ist.“

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS: Wie sieht es diesbezüglich auf europäischer Ebene aus?

Leonore Gewessler: „Wir möchten in Österreich auch für Europa mit gutem Beispiel vorangehen. Denn eines ist klar: Damit wir die Bahn in Europa im Vergleich zum Flugzeug und zum LKW wettbewerbsfähiger machen können, braucht es gemeinsame Anstrengungen auf europäischer Ebene.
Das sind insbesondere Investitionen in Infrastruktur und Fahrzeuge, aber auch eine Vereinheitlichung der nationalen Regelungen für den Bahnverkehr. Gerade hier gibt es noch viel zu tun. Auch der Nachtzugverkehr in Europa muss wieder eine stärkere Bedeutung bekommen. Hier freut es mich besonders, dass Wien die Stadt in der EU mit den meisten Nachtzugverbindungen ist und wir mit der ÖBB kräftig in den Ausbau des Nachtzugsystems investieren und neue Nachtzüge anschaffen. Auch auf europäischer Ebene gibt es dazu aktuell viele Initiativen und Abstimmungen, um Barrieren abzubauen und grenzüberschreitende Verbindungen zu verbessern und zu beschleunigen.“

Kein „Veranstaltungsticket“

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS: In Deutschland hat die DB vor Jahren das „Veranstaltungsticket“ für Teilnehmer*innen von Kongressen, Messen, Firmen- und Seminarveranstaltungen ins Leben gerufen, das die Bahnanreise zum günstigen Festpreis ermöglicht. In Österreich wurde von der Branche ein derartiges Ticket ebenfalls eingefordert, bisher aber nicht umgesetzt. Woran hapert es?

Leonore Gewessler: „Veranstaltungstickets gibt es bereits jetzt immer wieder auf Basis einer Vereinbarung mit dem jeweiligen Veranstalter und den einnahmenverantwortlichen Stellen. Das sind je nach regionaler Bedeutung der Veranstaltung die regionalen Verkehrsverbünde oder die überregionalen Verkehrsunternehmen. Diese Stellen sind durchaus bereit, für Großkunden entsprechende Rabatte zu gewähren, wenn der Veranstalter bereit ist, in einem Kombiticket die öffentliche Anreise mit dem Veranstaltungsticket mitzuverkaufen.“

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS: Wird es also hierzulande kein „Veranstaltungsticket“ à la DB geben?

Leonore Gewessler: „Natürlich freuen wir uns über jeden und jede, der oder die zu einer Veranstaltung mit den Öffis kommt. Eine Subventionierung einer gewinnorientierten Veranstaltung im Umweg, über eine aus öffentlicher Hand finanzierter Tarifermäßigung, ist jedoch kritisch zu betrachten. Insbesondere wenn man etwa daran denkt, dass Reisende, die z.B. aus anderen oft dringlicheren Gründen auf die Öffis angewiesen sind, den Normalpreis bezahlen. Aber nicht vergessen: Das
Klimaticket macht die Öffis für alle günstig.“

Fliegen ja, aber klimaverträglich

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS: Wie ist Ihre Einstellung zur Luftfahrt? Oder anders gefragt: Ist sie nur ein notwendiges Übel oder doch mehr?

Leonore Gewessler: „Klar ist: Das Mobilitätssystem der Zukunft muss bequem, leistbar und klimafreundlich sein. Beim Fliegen braucht es weitere gleichwertige Optionen – das heißt: öfter Zug statt Flugzeug oder Zug zum Flug. Es sollte vor allem dann geflogen werden, wenn es nicht anders und ökologischer möglich ist. Und ja, wir werden auch in Zukunft noch fliegen. Aber möglichst nicht mehr für einen kurzen Geschäftstermin, sondern dann, wenn die Bahn oder Videokonferenz keine Option sind. Und hoffentlich auch auf technologischer Seite klimaverträglicher – Stichwort: neue Antriebskonzepte und synthetisches Kerosin.“

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS: Sie sprachen das Thema Videokonferenzen an. Für diese sind Breitbandausbau und Telekom ganz entscheidende Bereiche, die im BMLRT resortieren, auch wenn Ihr Ministerium offiziell für Innovation und Technologie verantwortlich zeichnet. Wie läuft die Zusammenarbeit mit dem BMLRT?

Leonore Gewessler: „Ich verantworte mit der Zuständigkeit für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie ein wirklich großes Ressort. Aber natürlich sind auch der Breitbandausbau und Telekommunikation wichtige Themen für Österreich. Ganz viele unserer Themen, wie etwa der klimafitte Wald, Biodiversität, Bodenverbrauch und der GAP-Strategieplan (Anm.d.Red.: GAP steht für Gemeinsame Agrarpolitik), hängen eng miteinander zusammen. Gerade in der Landwirtschaft haben wir für den Klimaschutz große Aufgaben. Daher bin ich in guter Abstimmung mit dem BMLRT. Im Bereich Innovation und Technologie ist jedoch vor allem die Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsressort wichtig.“

Nachhaltige Events als Weg in die Zukunft

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS: Welche Akzente kann Ihr Ministerium in den Bereichen
Innovation und Technologie für die MICE-
Branche setzen?

Leonore Gewessler: „Wir tragen mit verschiedenen Förderungsformaten zur Entwicklung von digitalen Tools zur Organisation verteilter und klimaschonender Arbeitsprozesse bei. Das ist auch für die Veranstaltungsbranche eine gute Möglichkeit hier anzuknüpfen. So wurde etwa auch das österreichische Start-up eyeson mit dem AWS Gründerfonds unterstützt“ (Anm.d.Red.: Die
eyeson GmbH ist bietet eine online-basierte Softwarelösung für Videokonferenzen, Webinare und Internet Telefonie an, ohne dass – dies ist das
Alleinstellungsmerkmal – vorherige Softwareinstallationen notwendig sind; www.eyeson.com).

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS: Als Ministerin haben Sie viel mit Kongressen zu tun, wie heuer als Keynote-Speakerin auf dem 2. Österreichischen Energieeffizienzkongress, im Vorjahr bei dem gemeinsam mit Ihren deutschen Kollegen organisierten „Schienenkongress“ oder im Spätherbst 2021 bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow. Welchen Stellenwert haben für Sie derartige Veranstaltungen? Und wie steht es bezüglich Anreise mit dem Zug?

Leonore Gewessler: „Internationale Veranstaltungen, wie etwa die Weltklimakonferenz haben einen besonderen Stellenwert. Sie schaffen es den Blick der Weltöffentlichkeit genau dahin zu lenken, wo wir ihn brauchen – auf die Klimakrise, die große Frage unserer Zeit. Darum sind große
Konferenzen mit solch einer Weltbühne auch weiterhin wichtig und ich werde sie auch weiterhin gerne besuchen und das möglichst klimafreundlich, wie etwa mit dem Zug nach Glasgow, zur letztjährigen Klimakonferenz. Mir ist es jedenfalls ein großes Anliegen in Österreich und auf europäischer Ebene dafür zu sorgen, dass die Mobilität der Zukunft die bequemste, leistbarste und gleichzeitig klimafreundlichste Art und Weise ist, von A nach B zu kommen.“

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS: Wenn Sie eines Tages auf Ihre Tätigkeit als Klima-Ministerin zurückblicken: Welche Bilanz würden Sie dann gerne bezüglich der unter Ihrer Verantwortung für die MICE-Branche gesetzten Aktivitäten ziehen?

Leonore Gewessler: „Klimaschutz ist auch für die Veranstaltungsbranche genau der richtige und wichtige Weg in die Zukunft. Jedes nachhaltige Event kann mit seinem Engagement einen wichtigen Schritt dazu beitragen und eine Vorreiterrolle einnehmen. Das vermehrt zu sehen, darauf freue ich mich zurückzublicken. Aber bis dorthin haben wir gemeinsam noch einiges vor!“

Bundesministerin Leonore Gewessler bei der Eröffnung des Thementags „Highlights der Bioenergieforschung 2020“

Bundesministerin Leonore Gewessler bei der Eröffnung des Thementags „Highlights der Bioenergieforschung 2020“

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Erstellt am: 22. März 2022

Foto Leonore Gewessler: © BMK / Cajetan Perwein

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