„Experience Design“

iPhonisierung der Rahmen­programme! Es geht vor allem ums Genießen

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN (PRINT 2023/01)

Neue Veranstaltungsformate verlangen von den Organisatoren mehr Mut und Risiko­bereitschaft.

Noch werden die Möglichkeiten des „Experience Design“ zu wenig ausgeschöpft, auch bei Side-­Events – gefordert sind von den Organisatoren mehr Mut und Risikobereitschaft

Der Begriff des „Experience Design“ ist im Produktbereich bereits fest verankert. Es geht dabei nicht nur um Gebrauchstauglichkeit von Gütern, sondern vor allem um deren Produkterlebnis. Apple-Kund:innen wissen ein Lied davon zu singen: Nie würde es ihnen einfallen, ein anderes Smartphone oder einen Computer eines anderen Herstellers zu erwerben.

Um Produkterlebnisse im weiteren Sinne geht es auch in der Convention- und Meeting-Branche, wo mehr oder weniger mit­reißende Frontalvorträge durch interaktive Veranstaltungs­formate ergänzt oder ersetzt werden. Doch wie steht es um „Experience Design“, wenn es um Rahmenprogramme geht? Das AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN hat sich die aktuelle Situation angesehen.

Barfuß beim Mittagessen

Es ist eine Binsenweisheit, dass Erlerntes besser im Gedächtnis verankert bleibt, sobald es mit außergewöhnlichen Erlebnissen verknüpft wird. Was macht also Rahmen­programme von Veranstaltungen besonders? Wodurch heben sie sich vom Gewohnten ab? Die Bandbreite der Möglichkeiten, in Rahmenprogramme emotionelle Komponenten einzubauen, ist jedenfalls groß. Sie reicht von Weinverkostungen über Kochkurse oder Teambuildings mit Pferden bis hin zu kulturell ausgerichteten Incentives, wie Kloster­führungen oder Museums­ausflügen. Noch emotioneller ist der Auftritt von Hellseher- oder Tarotkartenleser:innen. Längst hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein attraktives Rahmenprogramm, das nicht nur aus Nullachtfünfzehn-Komponenten besteht, Einfluss auf die Moti­vation und Produktivität der Beteiligten hat, signalisiert es doch den Teilnehmer:innen Wertschätzung, ermöglicht geistige Regeneration und bietet Gesprächsstoff. Die Teilnehmer:innen reagieren positiv auf unerwartete Veranstaltungsorte und -momente. Das ACB (Austrian Convention Bureau) etwa bemüht sich, im Rahmen der von ihm veranstalteten Convention4u der­artige Besonderheiten einzubauen. Ein Beispiel dafür war etwa das barfuß eingenommene Mittagessen bei der Convention4u vor sechs Jahren in Saalfelden, das für die 180 Teilnehmer:innen im 4-Sterne superior Wellnesshotel Ritzenhof organisiert wurde.

Emotionalität & Entschleunigung

Woher kommt nun die Bezeichnung „Experience Design“? Dessen Definition leitet sich laut dem deutschen Strategieberater Philipp Thesen vom Begriff „Experience Society“ oder „Experience Economy“ ab. Es geht dabei um die Befriedigung des menschlichen Bedürfnisses nach Emotionen, Spaß, Ablenkung und Fantasien, also um differenzierende Erlebnisse.

Entscheidend ist es also, auch bei den Rahmenprogrammen die Achtsamkeit der Teilnehmer:innen zu erhöhen und zur Entschleunigung beizutragen. „Die Teilnehmer:innen aus dem Alltag ‚entführen‘, teils mit nachhaltigen Anleitungen für Zuhause“, nennt das der deutsche Kreativexperte Nils Bäumer, Gründer und Geschäfts­führender Gesellschafter des Unternehmens DenkSinn, das sich der kreativen Transformation von Menschen und Organisationen verschrieben hat.

Große Chance, aber zu wenig ausgeschöpft

„Experience Design“ ist also ein ganzheitlicher Prozess, der nicht nur das Geschehen auf einer Veranstaltung bzw. einem Rahmen­programm berücksichtigt. Stattdessen geht es darum, die Erfahrungen von allen Berührungspunkten mit der Marke, dem Unternehmen oder der Assoziation zu verbinden. Rahmen­programme, die nach den Regeln des „Experience Design“ gestaltet werden, fördern demnach die Kreativität. Doch in der Praxis wird dies noch viel zu wenig gelebt. So unterstrich Severin Heidelberger in seiner, an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) geschriebenen Masterarbeit „Event Experience Design: Explorative Studie am Beispiel akademischer Fachveranstaltungen“ die Wichtigkeit der Erlebnisökonomie.

Doch die Möglichkeiten des „Experience Design“ werden laut Heidelberger, der bereits seit 2015 als Projektleiter Kommunikation und Marketing an der ZHAW tätig ist, noch zu wenig ausgeschöpft. Zu diesem Schluss kam er aufgrund der Ergebnisse einer exemplarischen Untersuchung einer Reihe von Abendveranstaltungen, die er für die Masterarbeit durchführte.

Übergang von alt zu neu

Fest steht, dass – egal, wie man es auch dreht und wendet – die Bedeutung des Menschen, der im Mittelpunkt jeder Live-­Veranstaltung steht, über allem steht. Dies soll, auch wenn es selbstverständlichkeit klingt, in der heutzutage vernetzten bzw. digitalisierten Welt besonders hervorgehoben werden. Technologien sollten Dinge vereinfachen, aber nicht ersetzen. Die persönlichen Bedürfnisse jedes Teilnehmenden sind sogar noch wichtiger geworden.

So betonte Felix Rundel, Mitbegründer von futurehain, in einem Vortrag, dass der Begriff „Participant Experience Design“ noch in der Entwicklung begriffen ist. Die MICE-Branche befinde sich in einem Übergang von der „alten“ zur „neuen Welt“. Laut Felix Rundel „machen wir immer das Gleiche, wir haben die gleichen Formate, die Einführungen und die Sitzungen sind zu lang“.

Raus aus der Komfortzone

Neue Veranstaltungsformate verlangen von den Organisatoren mehr Mut und Risiko­bereitschaft – auch bei den Rahmen­programmen. „Inspiration ist hier die wichtigste Währung“, so Felix Rundel. „Wenn Menschen sich tief motivieren lassen und aktiv an einer Veranstaltung teilnehmen, zeigen sie Neugier und gehen proaktiv auf andere Teilnehmer:innen zu.“ Es geht um Neugierde, Offenheit, Flow und Lernbereitschaft.

Eine Veranstaltung ist laut Felix Rundel „eine Kette von Erlebnissen“. Veranstalter sollten deshalb über die Erlebnisreise der Teilnehmer:innen nachdenken und überlegen, wie sie diese optimieren und die Gäste über­raschen können: „Scheuen Sie sich nicht, außerhalb Ihrer Komfortzone zu experimentieren.“

Je nach Budget, lokalen Gegebenheiten, Größe und Zusammensetzung der Gruppe besteht eine Unzahl an Möglichkeiten für Rahmenprogramme, die den Vorgaben des „Experience Design“ folgen. Der Auftritt von Künstler:innen oder Zauber:innen am Abend kann dabei schon viel bewirken. Auch kulturelle, künstlerische oder sportliche Aktivitäten bieten sich an, ebenso Rallyes durch die Stadt oder die nähere Umgebung auf Rädern mit Segways, Trabbis oder Mini-Hotrods. Jedenfalls ist es bei diesen Aktivitäten wichtig, dass Teilnehmer:innen Gelegenheit haben zu networken, sich zu treffen und Informationen auszutauschen.

Es müssen auch nicht immer unerwartete Veranstaltungsorte sein, wie ein Parkhaus, um dem Anspruch von „Experience Design“ bei Rahmenprogrammen gerecht zu werden. Auch konventionelle Räumlichkeiten eignen sich, sofern sie dem unkonventionellen Erlebnis­design Rechnung tragen. Letztendlich geht es darum, mit den Gewohnheiten der Teilnehmer:innen zu brechen, sie ein wenig zu stören und sich abseits der ausgetretenen Pfade zu bewegen.

Momente zum Teilen

Eines muss aber in jedem Fall beachtet werden. Beim „Experience Design“ dreht es sich stets darum, Erinnerungen und Emotionen zu schaffen. Angesprochen werden nicht nur einer oder zwei der Sinne, sondern alle. Ebenso geht es um Momente zum Teilen: „Es ist das Echo in der Online-Welt, das ein Event zu DEM Event macht“, heißt es dazu etwa auf der US-amerikanischen Plattform „Converve“. „Wenn Gäste auf Instagram, Facebook, Twitter, XING oder LinkedIn eine Nachricht wie ‚Ich bin gerade auf einem Event – ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie das ist!‘ verbreiten, dann wurde vieles richtig gemacht.“

Neben Emotionen geht es also auch um das Schaffen perfekter Fotomöglichkeiten, um „Shareability“, die bereits bei der Gestaltung von Bühnen und Branding bedacht werden sollte. Denn beim „Experience Design“ gilt: Nicht das beste Produkt gewinnt, sondern das beste Erlebnis.

Um noch einmal Apple zu bemühen: Viele Smartphones sind den iPhones von Apple technisch überlegen und auch preiswerter. Trotzdem hat es Apple geschafft, zu einem der wertvollsten Unternehmen der Welt zu werden, weil es das Kundenerlebnis in den Mittelpunkt stellt.

Es kommt nicht auf die Größe eines Rahmenprogrammes an. Entscheidend ist, dass die Teilnehmer:innen das Erlebnis genossen haben! So heben sich Rahmenprogramme vom Üblichen ab und finden den Weg in die Herzen und Köpfe der Gäste.

Foto: © Austrian Convention Bureau | bildgewaltig.at

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