Ganzheitliche Inklusion

„Barrieren beseitigen, Räume des Austauschs schaffen“

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN (PRINT 2023/02)

Raúl Aguayo-­Krauthausen

Die Umsetzung ganzheitlicher Inklusion bei Veranstaltungen ist kein einfaches Unterfangen – ein paar praktische Tipps und das Einholen der Meinung von betroffenen Personen helfen dabei

Das Thema ist nicht neu: Das GCB (German Convention Bureau) etwa fertigte 2016 einen 30-seitigen „Inklusionskompass“ an, um Anbietern von Veranstaltungsorten eine Orientierung für Planung und Umsetzung möglichst barrierefreier Veranstaltungen zu verschaffen. Und im September 2018 startete Meeting Professionals International (MPI) – die 1972 gegründete Organisation ist mit 60.000
Meeting- und Eventprofis in mehr als 70 Ländern der weltweit größte Verband der Branche – eine branchenübergreifende Initiative, um Wissenslücken in diesem Bereich zu schließen und Beispiele für bewährte Verfahren für die Schaffung von inklusiven Erlebnissen zu liefern.

Vieles hat sich seither getan. Wobei allen klar ist, dass Inklusion – sie ist sogar in der 2006 verabschiedeten und im Herbst 2008 von Österreich ratifizierten UN-Behinderten­rechtskonvention als Menschenrecht festgeschrieben – barrierefreie Teilnahme an Ver­an­staltungen, Kongressen, Tagungen, Fortbildungen oder Messen für ALLE bedeutet, also nicht nur für Rollstuhl-Fahrer:innen oder Menschen mit Seh- und Höreinschränkungen. „Inklusion beginnt im Kopf“, ist Jürgen May, Gründer und CEO von 2bdifferent sowie
Experte für Nachhaltigkeit in der Event-, Messe- und Meeting-Branche, überzeugt, denn laut May ist „Inklusion wesentlich mehr als die obligatorische Rampe für Rollstuhl­fahrer:innen am Eingang und das Vorhanden­sein der Behindertentoilette“.

Es geht letztendlich darum, all jene bei Events und Meetings mit einzubeziehen und aufzunehmen, die in der Vergangenheit ausgegrenzt wurden, sei es aufgrund ihrer Rasse, ihres Geschlechts, ihrer Sexualität oder eben ihrer Fähigkeiten. Fest steht zudem, dass es bei der Planung von Veranstaltungen viele Faktoren zu berücksichtigen gilt, die einen leicht überfordern und so meist wichtige ­Aspekte aus den Augen verloren gehen. „Dies ist auch der Grund, weshalb sich bisher nur wenige Veranstaltungsteams umfassend an dieses Thema heranwagten“, wie die Event­beraterin Kerstin Hoffmann-Wagner und Dipl.-Ing. Gudrun Jostes, Fachplanerin für barrierefreies Bauen bei Events und Messen,
heuer im Frühjahr in einem Beitrag des „Germany Meetings Magazin“ feststellten.

Planungstipps für inklusive Meetings

Wie also sind Meetings zu planen, die den Aspekten ganzheitlicher Inklusion angemessen gerecht werden? Daisy Crane, Business Development Manager für das Travel Partner Network bei American Express Meetings & Events, hat dazu im Vorjahr eine Checkliste für inklusive Meetings und Veranstaltungen erstellt und praktische Tipps geliefert. „Vielfalt hat mehrere Ebenen und ist multidimen­sional“, betont sie in diesem Zusammenhang. Das kann etwa beim Veranstaltungsdatum entscheidend sein (Kollision mit wichtigen
religiösen und nationalen Feiertagen) und reicht bis hin zur Berücksichtigung einer Vielzahl von Ernährungsgewohnheiten (vegetarisch, vegan usw.).

Deshalb sollte jegliche Planung mit dem Herausfinden beginnen, wo ein Veranstalter in Sachen Inklusion steht und wer das Publikum ist, an das sich das Event wendet. In einem zweiten Schritt geht es um den Veranstaltungsort, das gewählte Format und das Setup. Dabei stehen Dinge im Fokus wie die Beurteilung dessen, ob der ins Auge gefasste Veranstaltungsort als diskriminierend wahrgenommen werden könnte, ob das gewählte Veranstaltungsformat die Zusammenarbeit fördert und ob Einrichtung sowie Räume der Location eine bequeme Mobilität und Zugänglichkeit ermöglichen. Ebenso entscheidend ist die Auswahl der Speaker. „Vermeiden sie es, sich auf die üblichen empfohlenen Redner:innen zu beschränken“, meint Daisy Crane, denn „die Speaker sollten repräsentativ für das Publikum sein und integrative Ideen fördern.“ Bei den Unterhaltungsangeboten und Aktivitäten wiederum sollte gewährleistet sein, dass diese für unterschiedliche Ziel­gruppen geeignet sind.

Im Bereich der Kommunikation ist dann darauf zu achten, dass Strategien entwickelt werden, die auf eine vielfältige Bildsprache und eine geschlechtsneutrale, leicht verständliche Sprache achten. Gebärdensprache kann dabei ebenso hilfreich sein wie Übersetzungen und die Installation von zweiten Bildschirmen. Generell gilt, dass alle technischen Geräte, einschließlich Mikrofone und Projektoren, für alle Teilnehmer:innen zugänglich sind. Für Gudrun Jostes und Kerstin Hoffmann-­Wagner ist jedenfalls entscheidend, dass „die selbstständige Zugänglichkeit zu Veranstaltungen und die Teilnahme ohne fremde Hilfe“ erfolgen kann. Diese Frage stellt sich auch bei Online-Events.

Begegnungen auf Augenhöhe

Und wie sieht es ein Betroffener? Raúl Aguayo-­Krauthausen, Inklusions-Aktivist und Blogger, Mitbegründer des gemeinnützigen Vereins „Sozialhelden“ und der Projekte Leidmedien.de sowie ramp-up.me gibt darauf eine klare Antwort: „Uns ist es wichtig, für eine vielfältige Gesellschaft zu werben. Nachhaltigkeit bedeutet nicht nur, die Umwelt zu schonen, sondern auch, dass z. B. Menschen mit und ohne Disikriminierungserfahrung einander auf Augenhöhe begegnen. Dafür müssen auch Barrieren beseitigt und Räume des Austauschs geschaffen werden.“ Ein schöneres Schlusswort kann es für einen Beitrag, der dem Thema ganzheitlicher Inklusion gewidmet ist, kaum geben. Jetzt geht es darum, all dies in die gelebte Praxis umzusetzen.

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