Veranstalterinterview

Kongress-Philosophie des ECR: „Wir müssen uns jedes Jahr wieder neu erfinden“

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN (PRINT 2022/03)

David Zirka

In welcher Form dies geschieht, bewiesen der Geschäftsführer der European Society of Radiology, Peter Baierl, und sein Team seit Ausbruch der Pandemie gleich mehrfach

Der „European Congress of Radiology“ (ECR) gilt als einer der größten und innovativsten medizinischen Kongresse Europas. Doch kaum eine Veranstaltung war von der Pandemie dermaßen betroffen, denn zum geplanten Austragungszeitpunkt Mitte März 2020 trat der erste Lockdown in Kraft. Das war doppelt bitter für den Organisator, ­die in Wien ansässige European Society of Radiology (ESR) mit Geschäftsführer Peter Baierl an der Spitze, denn im Jahr davor wurde der ECR nicht nur zum 25. Mal in der Donaumetropole bzw. im Austria Center Vienna (ACV) abgehalten, sondern auch ein beeindruckender Teilnehmerzuwachs (+6 %) verzeichnet: Erstmals konnten knapp mehr als 30.000 Besucher*innen begrüßt werden, darunter 7.020 (+9 %) über die ECR-Online-­Streaming-Plattform.

Rasch & flexibel

Die ESR reagierte auf Lockdown und Ab­sage, wie man es von ihr gewohnt ist: Rasch und flexibel. So wurde der ECR auf Mitte Juli 2020 verschoben sowie erstmals ausschließlich online abgehalten. Erfahrungen damit hatte man ja ausreichend, denn das Online-Streaming des ECR war seit Jahren konsequent ausgebaut worden.

Am Ende konnten mehr als 15.000 Teilnehmer*innen aus mehr als 130 Ländern begrüßt werden. Ihnen bot sich eine beeindruckende Mischung aus didaktischen, wissenschaft­lichen, interaktiven und branchenbezogenen Inhalten. Es gab mehr als 50 Live-Sitzungen­ sowie einen speziellen Livestream für Radio­logen.

Eine weitere Neuheit waren 2020 die ESR „Table Talks“, die direkt aus dem Gebäude­ der „Europeans Society of Radiology“ im Herzen Wiens präsentiert wurden. Und an der „virtuellen Ausstellung“ nahmen 216 Unternehmen teil. Viele organisierten darüber hinaus spezielle Satellitensymposien und hielten Webinare ab.

„Summer Edition“

Auch 2021 kam es zu einem rein virtuellen ECR, diesmal Anfang März. Das Übertragungsangebot umfasste fünf simultane Kanäle, die auf der Plattform „ESR Connect“ gestreamt wurden, es wurden neu Gami­fication-Elemente eingeführt, um die aktive Beteiligung zu erhöhen, und im Hotel Palais Hansen Kempinski – es fungierte als Hauptquartier des ECR 2021 – wurde ein Live-Studio eingerichtet. Peter Baierl und sein Team setzten damit laut internationalem Fachmagazin „Conference & Meetings World“ (CMW) „einen neuen Standard für medizinische Kongresse weltweit.“ Am Ende konnten 15.783 Teilnehmer*innen gezählt werden.

Damit nicht genug, gab es vom 1. bis 3. Juli 2021 eine hybride ECR „Summer Edition“. Austragungsort war der Konzertsaal der Wiener Sängerknaben MuTh (Musik und Theater). Es war das erste auch wieder physisch abgehaltene ECR-Format seit Beginn der Pandemie. Drei Tage lang erlebten die 100 angereisten Teilnehmer*innen ein dichtes wissenschaftliches Kongressprogramm, 400 weitere waren online dabei. 12 Unternehmen präsentierten bei der Fachausstellung und in drei „Simulatortraining“-Sessions. Unter dem Strich bildete die „Summer Edition“ den Startschuss für einen völlig neuen Ansatz im Bereich der Fachausstellung, der die Grenzen zwischen Wissenschaft und Industrie verschwimmen ließ.

Das große Comeback

Damit, sowie durch die „Overture“ (ein reiner Online-Kongress mit 4.028 Teilnehmer*innen rund um das Original-Datum Anfang März 2022), war der Boden für die Rückkehr des ECR ins Austria Center Vienna zum Hybrid­Meeting bereitet, diesmal unter dem Motto „Building Bridges“ vom 13. bis 17. Juli. Mit rund 15.000 Teilnehmer*innen (vor Ort und online) aus der ganzen Welt konnte zwar nicht an den Rekord von 2019 angeknüpft werden, doch die damalige ESR-Präsidentin Regina Beets-Tan zeigte sich „überwältigt von der Anzahl der Menschen, die sich für diesen Kongress entschieden haben.“ Der ECR 2022 wartete zudem einmal mehr mit neuen Formaten auf. Darum, sowie um den Ausblick auf 2023, ging es im Veranstalter­Interview mit David Zizka, BSC, der seit 2010 dem ESR-Team angehört und seit 2017 als Director Of Communications fungiert.

ECR 2022

ACB MAGAZIN: „Mit welchen Innovationen wartete der ECR bei der diesjährigen Veranstaltung Mitte Juli auf?

David Zizka: „Das Format eines Kongresses muss sich permanent verändern. Wir streamen seit 10 Jahren und die Sprecher*innen können auch von zu Hause aus präsentieren. Es gab deshalb auch heuer wieder viele Neuerungen. So haben wir ‚Erlebniswelten‘ kreiert. Ziel ist es, die Aussteller – heuer waren es 235, darunter Firmen wie Siemens, Bracco oder GE Healthcare – raus aus der großen Halle, rein in Foyers vor die Türen der Seminarräume zu bringen. Das sorgt für ein ganz anderes Erlebnis für Kund*innen und Aussteller. Einen zweiten großen Unterschied zu früher haben wir durch online gelernt: Wie präsentiere ich Vorträge? Da konnten wir im ACV nun viel von dem umsetzen und auch verbessern, was wir im Vorjahr im Kempinski gemacht hatten. Für die Teilnehmer*innen entstand dadurch eine Atmosphäre, als würden sie ins Kino gehen. Die von uns zu diesem Zweck installierte 21 Meter breite und 105 m² große LED-Wand in Saal A des ACV war wirklich beeindruckend.

Das ACV hat ja während der Pandemie viel investiert, mit neuem Zugangsgebäude, donauSEGEL auf dem Vorplatz und vielen offenen Terrassen, alles schön integriert. Das wiederum passt sehr gut zu unserem neuen Vortragsformat der ‚Offenen Foren‘, mit kurzen Vorträgen und interaktivem längerem Diskussionsteil, außerhalb des klassischen Vortragssaales.

Dann natürlich die Digitalisierung, die ist immer ein großes Schlagwort. Der ECR ist ja ein kompletter Hybrid-Kongress und technisch auf dem höchsten Niveau. So gab es beispielsweise die KI (Künstliche Intelligenz)-Ausstellung und das KI-Theater, beide der Zukunft der Radiologie gewidmet, den ‚Cube‘, der sich mit der interventionellen Radiologie (IR) beschäftigte, sowie den ‚Simulator Adventure Park‘.

Ein wichtiges Thema für uns ist darüber ­hinaus die Nachhaltigkeit. Seit 2014 wird der ECR offiziell als ‚Green Meeting‘ durchgeführt und ist zu 99  % ein ‚No paper‘-Kongress. Alles läuft über eine App (Anm.d.Red.: heuer die ECR 2022 App). Wir sind da federführend bei großen Kongressen in Europa. Wer online zusieht, muss nicht fliegen.“

ACB MAGAZIN: Zurück zum Terminwechsel ECR 2022 in den Juli, ist der wirklich um so viel besser, als der März?

David Zizka: „Der Terminwechsel für den ECR 2022 war eine klassische Entscheidung für Planungs-Sicherheit. Wir haben sie gemeinsam mit den Ausstellern getroffen. Durch die Pandemie haben wir gesehen, dass sich der März 2022 zu einem kritischen Zeitpunkt entwickelte, für Teilnehmer*innen, Aussteller und die Sprecher*innen.“

ACB MAGAZIN: Heuer im Juli gab es aber mit 15.000 um die Hälfte weniger Teilnehmer*innen, als im Rekordjahr 2019. Spricht das nicht eher für den März?

David Zizka: „Wir haben uns nach dem ECR 2022 mit allen involvierten Partnern ausgetauscht und sind gemeinsam zu der Erkenntnis gekommen, dass – obwohl es sehr viel Positives am Juli-Termin gab – eine Rückkehr in den März präferiert wird. Somit wird der ECR 2023 von 1. bis 5. März stattfinden. Grundsätzlich muss man sagen, dass es heuer deutlich weniger Teilnehmer*innen gab. Aber das entspricht der internationalen Entwicklung, die wir überall beobachten. Zum Beispiel kam es beim Kongress der RSNA (Radiological Society of North America) Ende November/Anfang Dezember 2021 zu einem Rückgang auf diesem Niveau (Anm.d.Red.: 2019 wurden 51.800 Registrierungen für den Live-Event verzeichnet, weitere 6.754 nahmen virtuell teil; 2021 waren es 19.000 Teilnehmer* innen, um −65  % weniger und rund 4.000 Online-Besucher*innen, ein Rückgang um −40  %). Auch der ESC (European Society of Cardiology) Congress Ende August 2022 in Barcelona hatte eine ähnliche Entwicklung (Anm.d.Red.: Anstatt der früher um die 30.000 kamen heuer rund 14.500 Teilnehmer*innen). Man muss sich an diesen Trend anpassen und sich jedes Jahr neu erfinden. Es geht darum, einen Bonus zu finden, für diejenigen, die vor Ort anreisen. Der liegt sicherlich bei jenen Dingen, die fehlen, wenn man online teilnimmt: Allen voran der Networking-Charakter und Get-together-Events etc.“

ACB MAGAZIN: Sie betonten vorhin, dass der ECR ein kompletter Hybrid-Kongress ist. Können Sie das ein wenig konkretisieren?

David Zizka: „Es gab zum Beispiel keine einzige Session, die nicht gestreamt wurde. Alle 25 Parallel-Säle wurden täglich gleichzeitig bespielt und zwar von 08:00 Uhr bis 18:00 Uhr. Ebenso gehen wir weg vom klassischen Messestand, hin zu mehr Interaktivität.“

ACB MAGAZIN: Wie sieht es mit den Kosten aus?

David Zizka: „Onsite-Kongresse sind immer kostenintensiver, weil man viel Personal vor Ort braucht, zum Beispiel für die Registratur etc. Anderseits ist auch online nicht so günstig, wie am Anfang der Pandemie angenommen, wenn man einen Online-Kongress auf wirklich hohem Niveau aufziehen will.“

ACB MAGAZIN: Wird es beim ECR 2023 weitere Neuerungen geben?

David Zizka: „Ja. Wir werden das Konzept mit den Erlebniswelten fortführen und wir setzen stark auf LED. Es geht um Kino-Feeling, damit es auch bei den Online-Teilnehmer*innen zu Hause gut aussieht. Zum Beispiel hatten wir heuer ein Filmteam, das an allen fünf Tagen jeweils 12 Stunden unterwegs war, durch die Hallen ging und Besucher*innen interviewte. Das wollen wir 2023 ausbauen, es wird mehr Filmteams geben.“

ACB MAGAZIN: Danke für das Gespräch.

Austria Center Vienna

© Fotos: ESR/Kreuzberger, ECR

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