Veranstalterinterview

„Live-Kongresse sind durch virtuelle Veranstaltungen nicht ersetzbar“

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN (PRINT 2023/01)

Dr. Matthias Preusser

Aus diesem Grund setzt die EANO auch künftig auf die Live-­Komponente – virtuelle und hybride Meetings haben aber trotzdem ihren Stellenwert, wie der Präsident des EANO-Kongresses 2022 in Wien Dr. Matthias Preusser gegenüber dem ACB Magazin betont

Mitte September 2022 kam es zum viel beachteten Live-Comeback des EANO-­Treffens in der Walzermetropole Wien und zwar in der HOFBURG Vienna. Die EANO (European Association of Neuro-Oncology) mit aktuell über 700 Mitgliedern in mehr als 70 Ländern wurde 1994 in Brüssel gegründet und vertritt alle medizinischen und wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit der Prävention, Diagnose und Behandlung von Tumoren des zentralen Nervensystems (ZNS) befassen. Seit 2019 hat sie – wie mehr als 40 andere medizinische Vereinigungen auch – ihren Sitz bei der WMA (Wiener Medizinische Akademie), die auch als Kongressveranstalter fungiert.

Bis 2018 gingen die EANO-Tagungen im zweijährlichen Rhythmus über die Bühne. 2019 war Lyon an der Reihe, doch das geplante Jahrestreffen im September 2020 in Glasgow musste pandemiebedingt abgesagt werden. Das 16. EANO-Treffen – es sollte in Wien stattfinden – ging dann 2021 virtuell über die Bühne und so kam die Donaumetropole im Jahr darauf zum Zug.

Mit diesem 17th Meeting of the European Association of Neuro-Oncology (EANO 2022) krönte auch Univ.-Prof. Dr. Matthias Preusser, Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie der Universitätsklinik für Innere Medizin der MedUni Wien und des AKH Wien, seine zweijährige Präsidentschaft an der Spitze des Verbandes. Das ACB Magazin bat Dr. Preusser zum Interview.

Für und Wider von Live & Virtualität

ACB Magazin: Durch COVID-19 stand das Live-Kongressgeschehen still. Wie sehr hat dies Ihre und die Arbeit Ihrer Kolleg:innen – national und international – beeinträchtigt?

Dr. Matthias Preusser: „Es ist so, dass manche Sachen beeinträchtigt und gestört wurden, andere aber profitiert haben. Wir haben gelernt, durch virtuelle Meetings viel zu klären und dass man durch sie auch profitieren kann. Wir sehen zum Beispiel Vorteile, weil man sich Reisen erspart. Fest steht aber, dass Live- durch virtuelle Veranstaltungen nicht ersetzbar sind, denn gerade wenn es darum geht, neue Forschungsprojekte aufzubauen, mehr Austausch zu haben etc., dann braucht es Live-Meetings.“

ACB Magazin: Der EANO-Kongress in Wien sollte ursprünglich 2021 stattfinden. Letztendlich wurde es 2022. Hat diese Pause in der Zusammenarbeit innerhalb der EANO sowie darüber hinaus etwas verändert?

Dr. Matthias Preusser: „Verändert ja, aber nicht zum Nachteil. Wir haben in der EANO die virtuellen Kanäle ausgebaut, Webinare organisiert und den Kongress 2021 komplett virtuell angehalten. Wir haben aber, wie bereits erwähnt, auch gesehen, dass live abgehaltene EANO-Kongresse sehr wichtig sind.“

ACB Magazin: Die EANO-Tagung 2022 in Wien zog 900 Teilnehmer:innen aus allen Kontinenten an. 2019 beim letzten Live-Kongress in Lyon wurden 750 aus 50 Ländern gezählt. War dieser Anstieg primär der Attraktivität des Kongressstandortes Wien geschuldet oder spielte da mehr das Come­back als Live-Veranstaltung eine Rolle?

Dr. Matthias Preusser: „Es war eine Mischung aus beidem. Wien ist als Kongress-Standort optimal erreichbar mit dem zentralen Flughafen, aber auch das Comeback als Live-Kongress nach der langen Durst­strecke war sicherlich für viele ein Anreiz, daran teilzunehmen. Es war ein großer Wunsch vorhanden, sich wieder persönlich auszu­tauschen. Das Programm war jedenfalls stark. Wir hatten sehr gute Speaker aus aller Welt und auch ein gutes wissenschaftliches Programm.

ACB Magazin: Es wurde versucht, EANO 2022 in der HOFBURG Vienna als Green Meeting nach den Kriterien des Österreichischen Umweltzeichens zu zertifizieren. Wurde dieses Ziel erreicht? Welche besonderen Maßnahmen wurden dabei von den Organisatoren ergriffen?

Dr. Matthias Preusser: „Ja, das Ziel wurde erreicht und wir wurden mit der Lizenznehmerin WMA auch zertifiziert. Es wurden unterschiedliche Maßnahmen ergriffen. So kam es zum Beispiel – um nur einige davon zu nennen – zu einer Reduktion des Abfalls, es wurden keine Kongress-Taschen ausgegeben und es gab eine Förderung der Öffis, um umweltschonend in die HOFBURG Vienna zu gelangen.“

ACB Magazin: Bei der EANO 2022 gab es ein festliches Event im Rathaus. Welchen Stellenwert nehmen Ihrer Ansicht nach bei Live-Kongressen Abendprogramme ein?

Dr. Matthias Preusser: „Sie sind sehr wichtig, vor allem fürs Networking, weil auf dem Kongress selbst ein Vortrag den anderen jagt. Wir hatten das Glück, von der Stadt Wien unterstützt zu werden, die uns für den festlichen Abend das Rathaus zur Verfügung gestellt hat. Wir hatten natürlich schon Kosten, aber es war, wie gesagt, gefördert.“

ACB Magazin: Seit Gründung Mitte der 1990er-Jahren fand der EANO-Kongress im Zweijahres-Rhythmus statt, ab 2018 jährlich. Was hat zu diesem Wechsel geführt?

Dr. Matthias Preusser: „Das war der Dynamik im Feld der onkologischen Forschung geschuldet. Die schreitet rasch voran und es entstehen dadurch viele Daten, die eines Austausches bedürfen. Dem trug der frühere Zweijahres-Rhythmus nicht mehr Rechnung. Der Abstand war zu groß. Wir wollen deshalb an dem Konzept der jährlichen Treffen festhalten. Das hat sich sehr gut eingespielt.“

ACB Magazin: Hat die Pandemie mit ihren virtuellen und hybriden Möglichkeiten daran etwas geändert? Sie erwähnten eingangs ja auch die Vorteile, die sich dadurch ergeben?

Dr. Matthias Preusser: „Ja, es hat sich etwas geändert. Wir bieten mehr virtuelle Fortbildungen an, etwa Webinare mit der amerikanischen Schwestergesellschaft Society of Neuro-Oncology (SNO). Sie schöpft mehr aus, was man im virtuellen Raum abhalten kann.“

ACB Magazin: Wie wirkt sich dies konkret auf den EANO-Kongress aus? Gibt es bei ihm auch eine hybride Komponente?

Dr. Matthias Preusser: „Nein, wir wollen das jährliche EANO-Meeting als komplette Live-Veranstaltung beibehalten. Hybrid macht den Kongress wesentlich teurer. Und wenn er hybrid wird, haben wir Sorge, dass weniger Teilnehmer:innen zum Kongressort kommen, vor allem auch attraktive Speaker. Wir suchen deshalb für den Kongress attraktive Städte aus und stärken die Kongress-Präsidenten. Fakt ist: Wenn weniger Gäste vor Ort sind, leidet die Qualität des Kongresses.“

ACB Magazin: Sie haben seit März 2021 den Vorsitz der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) Brain Tumour Group übernommen, einer gemeinnützigen Organisation für Studien zur Krebstherapie mit Sitz in Brüssel und 265 internationalen Studienzentren in 35 Ländern sowie rund 2.500 Mitgliedern aus über 300 europäischen Institutionen. Deren Frühjahrstagung 2023 ging Mitte März in der EORTC-Zentrale in Brüssel als Hybridtagung über die Bühne. Wie viele Teilnehmer:innen gab es insgesamt und wie viele davon waren rein virtuell präsent?

Dr. Matthias Preusser: „Das sind eher Arbeits­gruppen-Meetings, die zweimal pro Jahr stattfinden. Bis zur Pandemie gab es 80 bis 100 Teilnehmer:innen, durch den hybriden Ansatz sind es jetzt teilweise bis 180 oder 200. Es ist aber, wie erwähnt, kein Kongress, sondern ein Arbeitsmeeting für je einen Nachmittag. Da funktioniert das hybride Modell sehr gut. Auch für die Umweltkomponenten ist das wichtig, weil nicht extra zum Frühjahrsmeeting nach Brüssel geflogen werden muss. Das Herbstmeeting fällt dann immer mit dem Kongress zusammen. Es ist nicht hybrid, auch in diesem Jahr nicht.“

ACB Magazin: Nochmals zum Wechsel des EANO-Sitzes nach Wien und zur WMA (Wiener Medizinische Akademie). Welche Überlegungen haben dazu geführt?

Dr. Matthias Preusser: „Die WMA hat uns schon bei Kongressen und bei der Vereins-­Administration unterstützt. Die Überlegungen für den Wechsel hatten aber auch steuerliche Hintergründe. Dadurch, dass die WMA übernimmt, ist es einfacher, wenn der EANO-Sitz in Wien ist. Wir sind mit der WMA sehr zufrieden.“

ACB Magazin: Welche Bedeutung haben internationale Kongresse und Tagungen Ihrer Meinung nach für die Weiterentwicklung im medizinischen Bereich und welchen Stellenwert nehmen sie für den Nachwuchs ein?

Dr. Matthias Preusser: „Sie haben in beiden Bereichen einen sehr hohen Stellenwert. So geht es etwa im medizinischen Bereich darum herauszufinden, was Studiendaten konkret für die Medizin bedeuten, um das Planen neuer Studien-Initiativen und ums Eliminieren weißer Flecken im Forschungsbereich. Gerade Hirntumore sind schwer zu behandeln und sehr belastend für Patient:innen und Angehörige. Wir können uns nur verbessern, wenn wir Hirntumore verstehen und neue Wege testen. Für den Nachwuchs ist es wichtig, die Inhalte zu erlernen und zu verstehen. Das geschieht am besten durch Kongress-Teilnahmen. Die Neuro­onkologie ist ein sehr komplexes Fach. Wir haben deshalb auch immer den ‚Educational Day‘ im Kongress-­Programm. Das Weiterbilden gelingt nicht nur durchs Lesen, sondern auch durch das Diskutieren etc. Das ist die Basis für richtige Anwendungen.“

ACB Magazin: Wo sehen Sie sich persönlich in Zukunft und werden Sie wieder für einen Kongress in Wien die Verantwortung tragen?

Dr. Matthias Preusser: „Meine persönliche Zukunft liegt weiterhin in der akademischen Onkologie. Der habe ich mein Leben verschrieben, durch Weiterentwicklung und Forschung. Ich trage auch gerne Verantwortung für Kongresse, das ist eine sehr erfüllende Aufgabe. Nachdem das EANO-Treffen schon zum zweiten Mal in Wien stattgefunden hat, ist es nicht ausgeschlossen, dass es wieder einmal nach Wien kommt. Es gibt aber auch andere Großkongresse, die ich als Kongress-Präsident organisiert habe. Wien bietet sich da immer an. Wir sind derzeit mit unterschiedlichsten Gesellschaften im Gespräch.“

Kurzportrait Dr. Matthias Preusser

Nach seinem Medizinstudium an der Uni Wien sowie einem Studienaufenthalt an der University of Southwestern Louisiana (USL) in Lafayette, USA, wirkte Matthias Preusser (verheiratet, zwei Kinder) zunächst als Facharzt für Innere Medizin, Häma­tologie und Onkologie. 2009 folgte seine Habilitation im Bereich experimenteller Onkologie und 2016 in Innerer Medizin. Im Zuge von Auslandsaufenthalten war Dr. Preusser am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg sowie am Memorial Sloan-Kettering Cancer Center in New York tätig.

Seit Herbst 2018 ist Dr. Matthias Preusser als Nachfolger von Dr. Dr. h. c. Christoph Zielinski Universitätsprofessor für Internistische Onkologie sowie Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie an der MedUniversität Wien. Preusser ist Mitglied bei sechs internationalen wissenschaftlichen Vereinigungen, gehört seit Jahren dem Vorstand der EANO an, ist in der ESMO (European Society for Medical Oncology) aktiv, und fungiert als Vorsitzender der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) Brain Tumor Group. Während der Pandemie publizierte Matthias Preusser Arbeiten zur Testung und Prävention von SARS-CoV-2 Infektionen und COVID-19 bei Krebspatienten. matthias.preusser@meduniwien.ac.at

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