Key­note

„Konzentrieren wir uns darauf, wozu wir im Stande sind“

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN (PRINT 2022/03)

Bettina Ludwig

Die Kultur-Anthropologin und Unternehmerin Bettina Ludwig bot den Teilnehmer*innen auf der Convention4u in ihrer Key­note einen zeitlosen Blick in die Zukunft

Es war – nach dem schwungvollen „Onboarding Camp“ und dem anschließenden „Get2gether“ am Tag davor – der erste Programmpunkt des offiziellen Kongress­programms der Convention4u 2022: Die Keynote von Bettina Ludwig unter dem Titel „Ein neuer Blick auf uns. Ein optimistischer Blick in die Zukunft“.

Der Wissenschaftlerin und Unternehmerin (sie initiierte während des Lockdowns im März 2020 das Projekt „Zukunfts.Symposium“) erscheint der „neue Blick auf uns“ deshalb wichtig, da ihr im Zuge der Forschungsarbeit mit Jäger- und Sammler*innen in der Kalahari Wüste mehr und mehr bewusst wurde, dass „der Mensch eben nicht so ist, wie er zu sein scheint“.

Ludwig: „Universelle Annahmen, der Mensch sei besitzorientiert, auf Hierarchie gepolt oder wettkampfgetrieben, sind nicht haltbar.“ All dies – sowie der Fokus auf Zeit und Arbeit – seien zwar als selbstverständlich geltende Konzepte, die aber durch den Blick auf Jäger-Sammler-Gesellschaften plötzlich wieder hinterfragbar werden.

Wie also tickt der Mensch wirklich? Antworten darauf zu finden, sei nicht einfach, aber entscheidend, um den Blick in die Zukunft zu richten. Und so entwarf Bettina Ludwig für die Convention4u-Teilnehmer*innen einen Blick auf 2040.

Neudefinition der Zeit

Den ersten Ansatz dazu bildet das subjektive Gefühl, noch nie so wenig Zeit wie heute gehabt zu haben. Dies stehe „stark in Verbindung mit der Idee, Zeit nutzen zu müssen“. Deshalb sei es wichtig, Zeit neu zu definieren. Anregungen dazu nimmt Ludwig von den Jäger- und Sammler*innen der Kalahari: „Bei ihnen reichen Zahlen nur von 1 bis 5. Alles andere läuft unter ‚vieles‘.“ Tage werden nicht in Stunden eingeteilt, Wochen nicht in Tage. Zudem gibt es in den Sprachen dieser Gesellschaften keine grammatikalischen Formen für Vergangenheit und Zukunft: „Man lebt im Hier und Jetzt.“

Eine direkte Übertragung dieses Zeitverständnisses in die westliche Welt sei zwar nicht möglich, doch „der Blick auf diese anders organisierte Lebenswelt soll daran erinnern, dass wir Zeit unterschiedlich definieren können. Der Umgang mit Zeit ist nicht in Stein gemeißelt, viel mehr definieren wir ihn durch unsere Kultur.“

WEIRD Societies vs. DESIRES

Eine direkte Antwort darauf, wie Zeit neu zu definieren wäre, gab Bettina Ludwig nicht. Aus gutem Grund, denn – wie bereits erwähnt – sind die Ansätze dazu zu unterschiedlich. Vielmehr gehe es um Gedankenexperimente darüber.

Genauso verhält es sich auch mit Besitz oder Hierarchie: „Warum haben die meisten Menschen das Gefühl zu wenig zu besitzen, obwohl Individuen zu keinem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte je so viel besaßen? Und warum brauchen wir Hier­archien, obwohl der Mensch bereits im Kindergarten-­Alter davon genervt ist?“, gab Bettina Ludwig zu bedenken.

Die Lösungen folgten auf dem Fuß: „Hinter diesen Beispielen steckt das spezifische System der ‚WEIRD Societies‘, in denen wir heute leben“, so Bettina Ludwig. Unter dem Begriff „WEIRD“ sind die Schlagworte „western“, „educated“, „industrialized“, „rich“ und „democratic“ zusammengefasst.

Das Gegenteil dazu leben die Jäger- und Sammler*innen in Namibia vor. Kein Strom, keine Straßen und keine Häuser. Bettina Ludwig: „Diese Menschen besitzen nichts oder alles, je nachdem wie man es sehen möchte.“

Kernmechanismen ihres Wirtschaftssystems sind „Demand-sharing“ und „immediative-­return system“ (in unserer an Kürzeln gewöhnten Zivilisation wohl als „DESIRES“ bezeichnet). Alle Ressourcen würden direkt verbraucht, nichts werde gehortet. Es gebe auch keine Anführer*in, alle Entscheidungen würden – unabhängig von Alter, Geschlecht oder Erfahrung – gemeinschaftlich getroffen.

„Wozu wir im Stande sind“

Zum Abschluss ihrer Keynote kam Bettina Ludwig darauf zu sprechen, was wir alle durch den Blick auf Jäger*innen und Sammler*innen lernen können: „Es wird ersichtlich, dass Konzepte und Handlungen, die wir als naturgegeben und universell hinnehmen, dies oft nicht sind.“ Zwar sei die Lebensform der Kalahari-Völker alles andere als paradiesisch und bringe auch viele Pro­bleme mit sich, doch eines stehe fest: „Die Welt ist nicht, wie sie ist. Sie ist so, wie wir sie sehen.“

Für Bettina Ludwig steht fest: „Wir stehen am Beginn einer Zeit, in der sich unser Lebensstil auf vielen Ebenen ändert.“ Die gute Nachricht sei, dass „wir genau dafür gemacht sind“. Menschen können sich auf unterschiedlichste Art und Weise als Gesellschaft organisieren und mit ebenso vielen Weltvorstellungen und Wertesystemen durchs Leben gehen. „Diesen Vorteil können wir nutzen. Denn letztlich gilt es nicht, sich darauf zu konzentrieren, wozu wir gemacht sind, sondern darauf wozu wir im Stande sind!“, so Bettina Ludwig. www.bettinaludwig.at

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