Hybride und virtuelle Meetings

Gekommen um zu bleiben! Oder wird da zu viel hineininterpretiert?

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN (PRINT 2021/01)

Virtuelles Meeting

Hybride und virtuelle Meetings haben begünstigt durch äußere Umstände gewaltig an Boden gewonnen – welche Bedeutung ihnen in Zukunft zukommen wird, muss sich erst weisen, die Tendenz ist aber unverkennbar

Die zurückliegenden 20 Monate haben die Convention-Branche in einer Intensität und Geschwindigkeit verändert, wie keinen anderen Wirtschaftszweig. Mit einem Schlag wurden virtuelle Meetings zur Überlebensfrage, hybride Meetings zum Standard der Zukunft erklärt. Der Kombination aus Präsenz- und Online- Teilnehmer*innen werden Vorteile zugeschrieben, die dieses Modell nach Ansicht vieler Expert*innen zum Besten aus beiden Welten machen. Doch stimmt das wirklich? Ist der Aufwand für hybride Meetings nicht erheblich größer, als der Nutzen für Teilnehmer*innen und Veranstalter? Das AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN ist in seinem FUTURE-Teil dieser Frage nachgegangen.

Zunächst zu den Fakten

Wie sehr sich das Gewicht durch die Pandemie verschoben hat, zeigt die Statistik der ICCA (International Congress and Convention Association) für 2020. Erfasst werden dabei Veranstaltungen ab 50 Teilnehmer*innen, die von internationalen Verbänden veranstaltet werden, zwischen mindestens drei Ländern rotieren und zumindest bereits dreimal abgehalten worden sind. Das traf 2020 laut ICCA-Report auf 8.409 Meetings zu.

Dieses Sample ist üblicher Weise erheblich größer (2019 waren es z.B. 13.212). Der deutliche Rückgang lässt sich laut ICCA CEO Senthil Gopinath zum Teil dadurch erklären, dass zahlreiche Veranstaltungs-Websites vom Netz genommen oder gar nicht erst eingerichtet wurden. Ebenso haben viele Veranstalter die Homepages für ihre 2020 verschobenen oder abgesagten Konferenzen gleich mit den neuen Terminen oder Orten der Folgejahre aktualisiert. „All das erschwerte die Suche nach Konferenzen und nach den ursprünglichen Terminen für die Veranstaltung 2020“, so Senthil Gopinath.

Soweit so gut. Nachdem im Jänner vorigen Jahres und weitestgehend auch im Februar die Lage noch normal war, ging es danach Schlag auf Schlag. Als erste wissenschaftliche Konferenz öffentlichkeitswirksam wenige Tage vor ihrem Beginn in Denver am 2. März 2020 abgesagt wurde die Tagung der American Physical Society (APS). Dies löste eine Kette ähnlicher Absagen bzw. Verschiebungen aus – und läutete damit eine „neue Normalität“ für Forscher ein. In den Folgemonaten wurden von den in der ICCA-Statistik erfassten 8.409 Meetings insgesamt 3.714 oder 44% verschoben. 1.211 oder 14% der 2020 geplanten Veranstaltungen wurden abgesagt. Im Vergleich dazu konnten 2.505 (das waren 30%) als rein virtuelle Tagungen durchgeführt werden und sind in den letzten beiden Monaten des Jahres 2020 zum größten Segment aufgestiegen (November 46%, Dezember 52%).

Die 143 hybriden Meetings befanden sich im Vorjahr mit 2% noch in der absoluten Minderzahl, haben aber ab August an Zugkraft gewonnen: im November 2020 hielten sie bei einem Anteil von 4%, im Dezember waren es bereits 8%.

„Hybrid-Events sind die Zukunft“

Wie sich die Zahlen heuer entwickeln, wird im nächstjährigen ICCA-Report dargestellt. Fest steht, dass seit dem späten Frühjahr 2021 auch Live-Meetings wieder möglich sind. Wie viele davon als Hybrid-Events durchgeführt werden und ob dies in allen Fällen auch Sinn macht, darüber scheiden sich die Geister.

Eine überzeugte Verfechterin von hybriden Veranstaltungen ist Rita Villas-Boas, Digital Marketeer bei der Online-Event-Plattform SCOOCS, die in einem Atemzug gleich sieben Gründe nennt, warum „Hybrid-Events die Zukunft von Konferenzen und Networking“ darstellen. Neben der dadurch erzielbaren größeren Reichweite und mehr Teilnehmer*innen, führt sie auch die Senkung der Veranstaltungskosten an. Das überrascht zunächst, entstehen doch für die virtuelle Komponente der Veranstaltung zusätzliche Kosten, wie z. B. für die Online-Plattform oder für Audio und Kameras, die für die Übertragung der Veranstaltung an die Teilnehmer aus der Ferne erforderlich sind.

Doch Rita Villas-Boas winkt ab: „Persönliche Veranstaltungen sind mit erheblichen Kosten verbunden, und je mehr Personen an einer Live-Veranstaltung teilnehmen, desto höher ist dieser Aufwand. Durch hybride Veranstaltungen kann man die Zahl der persönlichen Teilnehmer*innen reduzieren, was wiederum die Kosten für Reisen, Veranstaltungsort, Catering und andere Ausgaben senkt.“ Unter dem Strich seien die Kosten für das virtuelle Segment niedriger, als für die persönliche Komponente. Und auch für die Teilnehmer*innen lohnt sich die Online-Teilnahme, „denn sie brauchen nur eine stabile Internetverbindung, und schon kann es losgehen!“

Weitere Vorteile hybrider Meetings sind laut Rita Villas-Boas die höhere Einbindung des Publikums, mehr Sponsoring-Möglichkeiten, die Schonung der Umwelt (Teilnehmer*innen, die ihren ökologischen Fußabdruck verkleinern möchten, haben die Möglichkeit, online an einer persönlichen Veranstaltung teilzunehmen), zielgerichtetes Marketing (z.B. durch Rückmeldungen, aufgezeichnete Sitzungen und Daten, die während der Veranstaltung eingegangen sind) sowie Flexibilität der Veranstaltung, da man „immer einen Plan B in der Hinterhand hat“, so Rita Villas-Boas.

„Plan B“ und seine Realisierung

Ohne diesen „Plan B“ wären etwa die atb.virtual 2021 und die Österreichischen Tourismustage (ÖTT), in deren Gesamtrahmen sie abgehalten wurde, nicht durchführbar gewesen. Und das stand Dank der virtuellen Formate laut Florian Größwang, Head of Partnermanagment bei Österreich Werbung (ÖW), nicht zur Debatte: „Es war uns wichtig, die Beziehung der Tourismusbranche zu internationalen Geschäftspartner*innen aufrecht zu erhalten, trotz der Reisebeschränkungen der letzten eineinhalb Jahre präsent zu sein, und es konnten dadurch neue Kontakte für das Geschäft von morgen gewonnen werden.“

Die Entscheidung, ob eine Veranstaltung, wie die ÖTT oder die atb, entsprechend den aktuellen Sicherheitsvorkehrungen physisch, hybrid oder virtuell umgesetzt werden kann, muss dabei relativ kurzfristig erfolgen. „Derzeit ist es in der Vorbereitung von Veranstaltungen extrem wichtig, flexibel zu sein“, so Florian Größwang. Als Zeithorizont dafür sieht er vier bis acht Wochen vor Start des Events.

Der ÖW-Manager ist davon überzeugt, dass „virtuelle Veranstaltungen physische Veranstaltungen nicht ablösen werden. Das unterstreicht auch das Feedback unserer österreichischen und internationalen Partner*innen: Das Bedürfnis nach physischem Austausch/Netzwerken ist vorhanden und steigt.“ Die Veranstaltungs-Teilnehmer*innen wollen sich laut Florian Größwang „auch mit Land und Leuten beschäftigen und etwas für sich persönlich mitnehmen. Sie wollen Österreichs professionelle und herzliche Gastgeber*innen kennenlernen, die ausgezeichnete Infrastruktur in Anspruch nehmen und die hohe Qualität in der Hotellerie und Gastronomie genießen.“ Insofern sei es „enorm wichtig, die Anforderungen der Österreich-Gäste zu kennen, um im Angebot schnell und kompetent reagieren zu können.“

Florian Größwang geht davon aus, dass sich der Einsatz von hybriden Elementen in Zukunft weiterentwickeln und „aus meiner Sicht vielfach zum Standard- Format von Veranstaltungen werden wird.“ Außerdem gehe es verstärkt darum, sinnstiftende Veranstaltungen zu realisieren, „in denen Wissen gemeinsam mit Partner*innen generiert wird. Der thematische Austausch beschränkt sich dann nicht mehr nur auf die Events, sondern entwickelt sich immer öfter zu einem länger dauernden Prozess – in Richtung ganzjähriger Communities (virtuell & physisch)!“

Natürlich brauche es dafür neue, erweiterte Skills (Community Management, Regie/Inszenierung, UX/Experience Design, Digitale Kompetenzen z.B. VR/AR…) und auch den Mut, neue Zukunftsformate auszuprobieren und die vorhandenen Chancen für die Branche zu nutzen.

Zeit für Small Talks & Social Events

Wie gut die virtuelle Komponente mit der realen zusammenspielt und in welche Richtung das Pendel ausschlagen wird, steht noch nicht endgültig fest. Zu jung sind noch die diesbezüglichen Erfahrungen. Doch jene, die bisher vorliegen, weisen durchaus interessante Aspekte auf.

Ein gutes Beispiel dafür bildete der 13th EBSA (European Biophysical Societies‘ Association)-Congress Ende Juli in Wien, der erste Kongress im Austria Center Vienna seit Ausbruch der Pandemie. Es ist der zweitgrößte Biophysiker-Kongress der Welt und er war als hybrides Meeting konzipiert: 435 Teilnehmer*innen waren vor Ort anwesend, 267 nahmen virtuell teil. „Auch die abendlichen Diskussionen an Postern bei Snack & Wein waren ein voller Erfolg“, freut sich Elena Pohl, Vizepräsidentin von Biophysics Austria und Leiterin der Abteilung Physiologie und Biophysik der Vetmeduni Vienna, die im Zuge des Kongresses zur Präsidentin der EBSA gewählt wurde.

Elena Pohl ist davon überzeugt, „dass rein digitale Tagungen solche Vor-Ort-Kongresse, wie die EBSA 2021, nicht ersetzen werden.“ Insbesondere junge Teilnehmer*Innen, die aufgrund Corona-bedingter Reisebeschränkungen bisher nur an digitalen Tagungen teilnehmen konnten, waren laut Pohl „begeistert über die Möglichkeiten des Informationsaustausches bei einer Tagung vor Ort.“

Mit dieser Ansicht steht die EBSA-Präsidentin bei weitem nicht alleine da. Auch für Thomas Südhof, – der gebürtige Deutsche ist Professor an der Stanford University in den USA, erhielt 2013 zusammen mit zwei weiteren Wissenschaftlern den Nobelpreis für Physiologie bzw. Medizin und hielt auf EBSA Congress in Wien einen Vortrag –, sind „physische Kontakte und die Auseinandersetzung mit anderen Personen zu unterschiedlichen Themen absolut essentiell. Das virtuelle Dasein, das wir alle über die letzten 18 Monate erlebt haben, ist in vielerlei Hinsicht ineffektiv.“

Denn nach Ansicht von Thomas Südhof könne ausschließlich auf virtueller Basis aufgebaute Zusammenarbeit „irreführend sein und führt häufig, meist unbeabsichtigt, zu falscher Kommunikation.“ Letztlich sei es doch etwas anderes, wenn man jemanden persönlich hört oder wenn man einen virtuellen Vortag sieht – auch wenn, wie Südhof zu bedenken gibt, „die Vorträge nur ein kleiner Teil des Gesamten sind.“

Entscheidend ist für den Nobelpreisträger die richtige Balance: „Nichts ist von sich aus der wichtigste Part. In anderen Worten: Es ist wichtig, Vorträge zu haben, aber es muss auch Zeit für Fragen und Antworten gegeben sein, ebenso wie Zeit für Social Events.“ Am besten funktionieren seiner Erfahrung nach Kongresse, auf denen die Teilnehmer die Möglichkeit haben, nicht nur Small Talk zu führen, sondern ganz konkrete Fragestellungen zu diskutieren. Thomas Südhof: „Man braucht also eine Mischung: Vorträge, Round Tables, Diskussionsforen, Kaffeepausen, Poster Präsentationen.“

Alles, nur keine Rückkehr zur alten Vorgehensweise!

Halfen also hybride und virtuelle Meetings nur beim Überbrücken der Veranstaltungs-losen Zeit der zurückliegenden 20 Monate, oder sind sie gekommen, um zu bleiben? Die Antwort darauf dürfte sich – trotz aller unerreichbaren Vorteile von Präsenz-Meetings – eher bei letzterem einpendeln. So waren laut einer heuer im Frühjahr durchgeführten Umfrage des Wissenschaftsmagazins „Nature“ 74% der Befragten der Meinung, „dass wissenschaftliche Konferenzen nach dem Ende der Pandemie weiterhin virtuell sein oder eine virtuelle Komponente haben sollten.“ Dies, obwohl laut Forschern bei allen eine gewisse „Zoom-Müdigkeit“ feststellbar ist.

Die Möglichkeit, von jedem Ort der Welt aus an Konferenzen teilzunehmen, wird als großer Vorteil angesehen. Ebenso aber gilt es als Fakt, das virtuelle Veranstaltungen nicht in der Lage sind, das persönliche Networking mit Kolleg*innen auch nur annähernd zu simulieren.

Virtuelle und hybride Meetings werden also wahrscheinlich bleiben, auch wenn Präsenz-Veranstaltungen wieder in den Vordergrund rücken. „Es wäre traurig, wenn wir einfach zur alten Vorgehensweise zurückkehren würden“, so der Schlusssatz in dem zitierten „Nature“-Beitrag – eine Aussage, die das Thema bei allen Für und Wider wohl am besten auf den Punkt bringt.

Virtual conferences

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