Interview mit Wolfgang Eder

„KI wird in Kürze zu einer neuen digitalen und invasiven Spezies“

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN (PRINT 2024/03)

Wolfgang Eder

Im Gespräch mit dem AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN zeigt Wolfgang Eder auf, dass durch den Einsatz von KI, Call- und Chat-Bots in Zukunft sehr viel möglich ist

Die diesjährige Convention4u stand ganz im Zeichen von KI (Künstlicher Intelligenz). Ziel war es, Verständnis dafür zu erhalten, wie künstliche Intelligenz den täglichen Arbeits­ablauf erleichtern kann. Ein spannender ­Programmpunkt der gewohnt umfassenden Tagesordnung war dabei der Vortrag „Die KI und Wir: Koexistenz oder Konkurrenz“ des Executive Coaches und KI-Startup-Founders Wolfgang Eder. Der KI-Anwender der ersten Stunde hat sich auf Führungswirksamkeit sowie Selbstwirksamkeit spezialisiert (beides mit oder ohne KI), begleitet seit über zwei Jahrzehnten Kund:innen aus Industrie, High-Tech, Wissenschaft und Kunst, öffentlicher Verwaltung in der EU, in den USA sowie in Asien und lehrt Soziale Kompetenz im Umgang mit KI an der Universität Graz. Eder: „Mir ist intra- und interpersonale Kompetenz im Umgang mit dem Gegenüber KI wichtig, um sich selbst und die KI zu verstehen. Und um die Beziehung zur KI zu managen und nicht von ihr benutzt zu werden.“ Das AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN hat Wolfgang Eder sechs Fragen zum Thema KI gestellt. Hier sind seine Antworten.

ACB MAGAZIN: Sie können laut Ihrer Website auf 81 Semester Lehre an Universitäten zurückblicken, hatten in Workshops, Seminaren und Keynotes 42.000 Begegnungen mit Menschen und arbeiten seit 23 Jahren als Trainer, Speaker und Coach. Ist KI wirklich schon so alt oder ist uns da allen etwas entgangen?

Wolfgang Eder: „Ja und Nein. Der KI-Begriff wurde ja bereits in den 1950er-Jahren vom US-amerikanischen Informatiker John McCarthy geprägt. Und Alan Turing hat das Konzept dann weitergeführt. Aber technologisch ging lange nichts weiter. 2012 war dann AlexNet ein Wendepunkt in der Geschichte: Alex Krizhevsky und andere haben das erste Mal erfolgreich tiefe neuronale Netzwerke und Deep Learning in der Bildklassifizierung mittels KI eingesetzt. Und dieser Erfolg hat zu einer Intensivierung der Forschung und mehr Investitionen in den Bereich der KI geführt. Das (Zwischen-)Ergebnis sehen wir heute.

An der Universität Graz haben sich meine Studierenden bereits 2003 mit Sozialer Kompetenz beim Technologie-Einsatz beschäftigt. Vor wenigen Monaten haben wir die Lehrveranstaltung ‚Soziale Kompetenz im Umgang mit KI‘ gestartet. Darin geht es vor allem um die intra- und interpersonale Kompetenz im Umgang mit dem Gegenüber KI. Wir bedienen uns hier eines ca. 30 Jahre alten Konzeptes von Prof. Daniel Goleman, dem Emotionalen Intelligenzquotient (EQ). Nun übertragen wir das Konzept in die Gegenwart und wenden den AI-EQ auf den Umgang mit KI an.“

ACB MAGAZIN: Sehen Sie KI als Job-­Killer oder als die Superpower des 21. Jahrhunderts – sprich Mensch und KI als Traumpaar?

Wolfgang Eder: „Ich habe (noch) keine Angst davor, dass KI meinen Job ersetzt. Aber wir sollten Angst davor haben, dass jene, die sich besser mit KI auskennen als man selbst, möglicherweise uns in unserem Job ersetzen werden. Hier sind wir in Österreich noch nicht so richtig in die Gänge gekommen. KI-Kompetenz als Basis-Kompetenz sollte sehr rasch in die Lehrpläne an Schulen und Hochschulen einfließen.

Ich habe kürzlich von einer Studie des Capgemini Research Institute gelesen. Es wurden über 1.400 Führungskräfte aus verschiedenen Branchen zum KI-Einsatz in ihren Unternehmen befragt: Nur 15% der Manager:innen nützen KI täglich. Aber Harvard Business Review hat unlängst publiziert, dass in aktuellen Untersuchungen ca. 40 % der MBA-Studierenden verschiedener Fachrichtungen KI in hoher Frequenz einsetzen. Und das werden diese Studierenden auch tun wollen, wenn sie später im Unternehmen tätig sein werden. Hier kommen enorme Anforderungen auf die Unternehmen zu: Es gilt KI im Unternehmen zu ermöglichen und dennoch verantwortungsvollen Umgang und Datensicherheit zu gewährleisten.

Ich sehe Zusammenarbeit zwischen Menschen und KI schon bald in Form von Human-­AI-Clustern: Teams von Menschen und KI, die KI als virtuelle Teammitglieder integriert haben und nutzbringend zusammenarbeiten. Hier finden sich bereits heute zwei primäre Arbeitsmodi: KI als Umsetzer kognitiver Aufgaben (z. B. Unterstützung beim Formulieren, Zusammenfassen, Visualisieren, Programmieren, Übersetzen und Auswerten). Und KI als Sparringpartner (z. B. für Problemlösung, Brainstorming und zum Challengen von Konzepten und Ideen). Genau deshalb könnte ich mir persönlich meinen Arbeitsalltag ohne KI nicht mehr vorstellen.“

ACB MAGAZIN: ChatGPT ist heute. Die echte KI-Revolution beginnt erst. Was dürfen wir uns von der Zukunft erwarten?

Wolfgang Eder: „Ich sage dazu immer, dass wir uns dazu ansehen sollten, welche technologischen Revolutionen grundlegende Veränderungen in der Arbeitsweise bewirkt haben. Als erstes kam die Industrielle Revolution. Zu Beginn hat der Mensch selbst die Arbeit gemacht, danach nutzte man die Technologie, um diese die Arbeit machen zu lassen. Menschen konnten nun mehr produzieren. Das hat unseren heutigen Lebensstandard mit einer breiten Verfügbarkeit von unglaublich vielen Gütern vorbereitet. Als zweites kam die Informationsrevolution. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich als Jugendlicher in den 1980er-Jahren viele Stunden in Bibliotheken mit der Suche nach der relevanten Information in Nachschlagewerken verbracht habe. Damals war es noch essenziell, möglichst viel Wissen gelernt und zur Verfügung zu haben. Die Studierenden meiner Lehrveranstaltungen an der Universität haben damit heutzutage kein Problem mehr: Sie verwenden Suchmaschinen und erhalten in Echtzeit Wissensvorschläge, die zu ihrem Themengebiet passen. Und stellen dieses Know-how übers Internet wieder anderen Menschen zur Verfügung. Diese breite Verfügbarkeit von Information wirkt multiplikativ und hat unglaublich viel verändert.

Nun stehen wir an der Schwelle einer neuen Ära. Die breite Verfügbarkeit von Intelligenz verändert unsere Lebens- und Arbeitsweisen maßgeblich. Ich nenne es das Ende der kognitiven Handarbeit. Noch immer gibt es im Arbeitsalltag eine zu große Fülle an langweiligen, repetitiven Aufgaben: Informationen sortieren, Dateneingabe in Formularen, Informationen auswerten, Präsentationen basteln, die ewig gleichen Anfragen im Callcenter… Hier verändert KI den Arbeitsmarkt bereits jetzt deutlich. Ein Beispiel: Der schwedische Zahlungsdienstleister Klarna hat im Februar 2024 veröffentlicht, dass der auf Open-AI-Technologie beruhende Callcenter-Chatbot des Unternehmens pro Monat bereits ca. 2,3 Mio. Unterhaltungen mit Kund:innen geführt hat (ca. zwei Drittel der monatlichen Anfragen). Das entspricht der Arbeit von 700 Vollzeitbeschäftigten. Und die Zufriedenheitsrate ist bereits jetzt gleich hoch wie bei menschlicher Unterstützung. Ich habe noch keine Vorstellung davon, wie wir also in 30 Jahren arbeiten werden. Aber ich bin sicher, dass das aufgrund der breiten Verfügbarkeit von KI wesentlich anders als heute sein wird.“

ACB MAGAZIN: Was unterscheidet Menschen von der KI?

Wolfgang Eder: „Noch unterscheidet uns sehr viel. Vornehmlich, dass Menschen Gefühle und Absichten haben. Aber es stellt auch die Frage: Welche impliziten Absichten haben Technologiekonzerne bereits jetzt den KIs in Form von Functionality-Boundaries, Ethik-Filtern und inhaltlichen Frameworks mitgegeben? Und wie stellen wir sicher, dass die KI in diesen Vorgaben keine Gender-­Bias, keine ethnischen Vorbehalte oder andere Vorurteile hat? Noch ist es zu früh, von einer KI zu sprechen, die Absichten verfolgt, eigenständige Schlussfolgerungen zieht und diese auf Anforderungen, das Aufgabengebiet oder die Vorgabe anwendet. Aber vor kurzem hat OpenAI das neue „o1“ Modell vorgestellt. Dieses ist darauf trainiert, länger über Probleme nachzudenken und sogenannte Gedankenketten zu bilden. Und das soll zu präziseren Ergebnissen in Mathematik und Logik führen. Auch hier sehen wir, dass die aktuelle Entwicklung der KI wieder einen Schritt in Richtung menschlicher Problem­lösungsfähigkeiten zu machen scheint.

Noch ein Beispiel aus meiner Lehrveranstaltung ‚Soziale Kompetenz im Umgang mit KI‘: Neben vielen Experimenten machen wir auch einen Versuch, bei dem Studierende aufgrund von Fotos auf den emotionalen Zustand der dargestellten Personen schließen sollen. Diese Fotos sind von Expert:innen nach dem FACS-Modell klassifiziert. Und nahezu immer ist die Trefferquote der KI höher als die der Studierenden. Aktuell kann KI in Sachen Kreativität, logischer Schlussfolgerung, Konsequenz und vor allem Verfolgung von Absichten uns Menschen noch nicht das Wasser reichen. Aber hätten wir alle vor drei Jahren gedacht, dass wir heute bereits KI als virtuelle Sparringpartner in Teams einsetzen und diese Frage überhaupt stellen werden?“

ACB MAGAZIN: Es gibt bereits die Forderung nach einem EQ für KI, um die Beziehung zur KI zu managen und nicht von ihr benützt zu werden. Wie stehen Sie dazu?

Wolfgang Eder: „Emotionale KI existiert längst. Mit empfindlichen Sensoren interpretiert sie menschliches Verhalten, versucht, auf menschliche Empfindungen zu schließen und das Antwortverhalten darauf hin anzupassen. Bereits heute verwenden KIs in Callcentern intelligente Mustererkennungs-Routinen, die aus der Wortwahl, Sprechgeschwindigkeit, Intonation, Tonlage etc. der Anrufenden versuchen abzuleiten, wie emotional erregt der Mensch am anderen Ende der Leitung ist

Ich gehe davon aus, und da bin ich nicht alleine, dass KI in Kürze eine neue Spezies darstellen wird. Ich gehe weiter: Es ist eine neue digitale und invasive Spezies. Und ich halte sie für potentiell gefährlich. Somit brauchen wir eine erweiterte Kompetenz im Umgang mit dieser KI. Und genau das ist unsere Mission bei EQ4.ai: Wir möchten Menschen, Teams und Organisationen befähigen, kompetent mit dem Gegenüber KI zu kooperieren. Dafür braucht es AI-EQ!“

ACB MAGAZIN: Worin sehen Sie die Vorteile von KI im Convention-Bereich?

Wolfgang Eder: „KI unterstützt in zahlreichen Anwendungsfällen, da fällt mir viel für die MICE-Branche ein. Ganz zu Beginn wäre da das personalisierte Marketing auf Basis KI-­gestützter Zielgruppen-Analyse, dann natürlich die Automatisierung von Registrierungs-, Buchungs- und Zahlungsprozessen. Beim Anmeldevorgang könnte auch von der KI das Interesse der Teilnehmernden analysiert und für mögliche Upselling- oder Upgrading-Angebote genützt werden. Wie am Beispiel von Klarna aufgezeigt, ist durch den Einsatz von Call- und Chat-Bots sehr viel möglich.

Während des Events könnte KI Teilnehmer:innen-Verhalten und -Interessen analysieren und Networking- und Matching-Aktivitäten initiieren. Wir hatten das gerade bei einem Kongress, da hat mir als Teilnehmer die KI tolle Vorschläge gebracht, wer von den Besucher:innen für mich von Interesse fürs Networking sein könnte. Selbstverständlich muss das vom Datenschutz her sauber und mit Einverständnis der Besucher:innen abgewickelt werden.

Ich setzte schon seit Jahrzehnten Audience ­Interaction Systeme ein. Aber seit in diese Gen AI implementiert wurde, ist das Zusammenfassen, Clustern und Visualisieren großer Mengen an Rückmeldungen für mich als Moderator viel einfacher geworden. Und was dabei wirklich magisch ist: Es geht nun in Echtzeit live vor dem Publikum. Da wird der gruppendynamische Prozess wirklich gut unterstützt.

Oder wie wäre es mit Live-Übersetzung für eine barrierefreie Zugänglichkeit aller Vorgänge beim Meeting? Was ich oft bei multinatio­nal besetzten Meetings mache, ist, dass ich die Live-Transkription und Live-Übersetzung von MS Powerpoint nutze. Es erhöht die Verständlichkeit enorm, wenn das Gesagte gleich für alle Teilnehmer:innen zu lesen ist

Für das Sammeln von Feedback nach dem Event lassen sich KI-gestützte Tools optimal nützen. Die dabei gesammelten Daten werden mittels KI aggregiert und aufbereitet. Das geht flott und liefert viel schneller als früher wertvolle Insights. Oder wie wäre es, wenn mit Hilfe der KI Informationen über den CO2-Fußabdruck des Events gesammelt werden, um bei künftigen Events noch grüner planen zu können?“

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