„Wiener Manifest“

Kreativität und digitaler Humanismus

AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN (PRINT 2020/02)

Hannes Werthner

Prof. Hannes Werthner

Mit dem „Wiener Manifest“ schworen sich WissenschaftlerInnen aus aller Welt im Vorjahr auf die menschengerechte Gestaltung zukünftiger Systeme ein – das spielt auch tief in die Congress-, Convention- Meeting- und Event-Industrie hinein

Lesen lohnt. Und zwar nicht nur online, sondern auch „old style“, also Print. Denn nur beim Durchblättern eines Magazins, einer Zeitschrift oder eines Buches stößt man auf Beiträge und Denkanstöße, nach denen man ansonsten nie gesucht hätte. So erschien neulich in der „Wiener Zeitung“ ein Interview mit Prof.
Hannes Werthner, bei dem es um die Notwendigkeit ging, den Menschen in der Informatik und Künstlichen Intelligenz (KI) wieder in den Mittelpunkt zu stellen.  

Mehrfach erwähnt wurde in dem Gespräch das im Mai 2019 unterzeichnete „Wiener Manifest“, dessen Co-Initiator Hannes Werthner ist. Es handelt sich um eine Grundsatzerklärung zum Digitalen Humanismus. Mitgewirkt daran haben Forscher und Pioniere der Computerwissenschaften sowie Wissenschaftler aus Psychologie, Philosophie und Soziologie. Ziel ist die menschengerechte Gestaltung zukünftiger Systeme, damit es nicht dazu kommt, wovor Tim Berner-Lee, Begründer des World Wide Web, warnt: Nämlich dass das System scheitert („The System is failing“).  

Es sind dies alles Bereiche, die auch die Congress-, Convention- Meeting- und Event-Industrie zutiefst betreffen. Einerseits, weil IT und KI die Branche massiv verändern, zum anderen, weil sich mit diesem Bereich ein Veranstaltungsfeld öffnet, das nicht zu unterschätzen ist. Das AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS FUTURE hat die entscheidenden Stellen des Interviews von Prof. Hannes Werthner mit der „Wiener Zeitung“ herausgearbeitet, wie es zu dem Manifest kam und welche Rolle Wien bzw. Österreich bei dessen Umsetzung spielen könnte.  

ACB FUTURE: Was konkret ist das Wiener Manifest?

Werthner: „Soweit ich weiß ist das ‚Wiener Manifest‘ die einzige nennenswerte Initiative, die analytisch beschreibt, was in der Informatik an der Schnittstelle zur Gesellschaft und Mensch gerade passiert und welche Auswirkungen das hat. Es geht um die menschengerechte Gestaltung zukünftiger Systeme, die den Menschen wieder in den Mittelpunkt rückt. Und es geht um Technologiepolitik, die ein wesentliches Feld der Politik ist. Der digitale Humanismus befasst sich aber nicht nur mit KI, sondern unter anderem auch mit Fake News, Echokammern, Überwachung oder Plattformökonomie. Und es geht auch um Machtpolitik. Die Auseinandersetzung USA vs. China etwa, wenn Trump Huawei attackiert.“

ACB FUTURE: Wie kam es zu der Initiative? 

Werthner: „Die Initiative haben Informatiker und Informatikerinnen aus der ganzen Welt gestartet, dann sind Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus anderen Disziplinen wie Soziologie, Psychologie, Politikwissenschaften und Jus aufgesprungen. Es war ruckzuck fertig.“ 

ACB FUTURE: Warum der Name ‚Wiener Manifest‘? Was hat Österreichs Bundeshauptstadt damit zu tun? 

Werthner: „Es gibt weltweit viele Digitalisierungshauptstädte. Wien könnte eine Sonderrolle einnehmen. Es gibt in Wien 23 Hochschulen, mehr als 200.000 Studierende, Wien gilt als Kunst- und Kulturhauptstadt und hat eine reichhaltige Geschichte in der Wissenschaft. Das ist der ‚unique brand‘. Man könnte zum Beispiel Kunst, Kultur, Geisteswissenschaften und Informatik verbinden und einen gemeinsamen Master über alle Universitäten zu diesem Thema machen. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. 

Die Stadt ist jedenfalls in einer hervorragenden Position und sollte, – vielmehr müsste –, diese Chance ergreifen, sich positionieren und eine wirklich alternative Technologiepolitik machen. Über einen solchen alternativen Pfad wird weltweit diskutiert.“

ACB FUTURE: An welche spezielle Zielgruppe wendet sich das Manifest? 

Werthner: „Unser Zielpublikum ist in den Universitäten und der Wissenschaft zu finden, sowie in der informierten Allgemeinheit und unter den Entscheidungsträgern in Verwaltung, Wirtschaft, Politik, aber auch NGOs (Non Governemental Organisations). Denn wir haben nicht gelernt mit der Allgemeinheit zu reden, da haben wir Schwierigkeiten.“ 

ACB FUTURE: Schwierigkeiten in welcher Form? 

Werthner: „Es ist schon ein bisschen sperrig was wir so machen. Wir sind in der Masse nicht angekommen. Dazu müssten wir unsere Kommunikationsform und unsere Sprache ändern. So haben wir zwar alle Vorträge auf YouTube veröffentlicht, aber in Englisch. Das ist mit ein Grund, warum wir in Österreich nicht massentauglich sind. 

Aber wir stellen uns dieser Diskussion. Nur sind wir noch nicht in der Lage, alltagstaugliche politische Fragen zu formulieren, Fragen, die man auch im Wahlkampf verwenden kann. Die Politik will sichere Antworten. Doch die Wissenschaft gibt keine Sicherheit. Wissenschaft stellt Fragen und gibt Antworten, die man unter bestimmten Bedingungen mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten gibt. Die Wahrheit als solches gibt es nicht! Als Wissenschaftler tut man sich da generell schwer.“

ACB FUTURE: Kommt das ‚Wiener Manifest‘ zum digitalen Humanismus nicht zu spät?

Werthner: „Das Manifest ist der Versuch, die Dinge von einer anderen Seite anzugehen, vor allem nicht von einer pessimistischen. Wir wollen die Potentiale herausstreichen. Denn ich kann mich wie ein Lemming runterstürzen, ich kann zuschauen und verharren – dies ist ein defensives Vorgehen – oder aber ich kann versuchen, Antworten zu finden. Neben der juristischen Antwort, ist aber auch eine technische, eine proaktive nötig. Technik ist nicht gottgegeben, es liegt an uns, es entsprechend zu gestalten.“ 

ACB FUTURE: Ist der Zug nicht schon abgefahren? 

Werthner: „Sie wollen eine Aussage dazu über die Zukunft? Das ist schwierig. Aber ‚IT will not stopp‘.“

Prof. Hannes Werthner

Der gebürtige Burgenländer absolvierte sein Studium an der TU Wien, ging als Visiting Professor an das Politechnikum Mailand, wo er sich mit Umweltsimulationen und mit den Grundlagen von Entscheidungsunterstützungssystemen beschäftigte. Danach forschte Hannes Werthner an der Universität Wien, an der WU (Wirtschaftsuniversität) Wien und später in Innsbruck, ging an die Universität Trento und war Visiting Professor in Surrey (UK). 2006 wurde er zum Professor an die TU Wien berufen. Von 2016 bis 2019 fungierte Prof. Hannes Werthner als Dekan der Fakultät für Informatik an der TU (Technische Universität) Wien. Seit Oktober 2020 ist er pensioniert. 

Hannes Werthner gründete eine PhD-School, die neue Qualitätsmaßstäbe in der Ausbildung von Doktorats-Studierenden setzt. Ebenso fördert er die Startup-Kultur an der TU Wien. Mit dem „Informatics Innovation Center“ (i2C) wurde ein Zentrum für wirtschaftliche Innovationen geschaffen, das Studierenden und Forschenden an der TU Wien hilft, markttaugliche Ideen zu entwickeln – ein Konzept, das später auf die übrigen Fakultäten der TU Wien ausgeweitet wurde. 

Im Flüchtlings-Sommer 2015 rief Werthner die Aktion „WelcomeTUCode“ ins Leben, in deren Rahmen TU-StudentInnen Flüchtlingen Computer-Grundkenntnisse beibrachten. Dazu kommen Erfahrungen in der Wirtschaft, wie etwa als Chef der Firma Eurocom (e-Tourismus-Lösungen) und als Aufsichtsrat von Tiscover. Nach ihm ist der „Hannes Werthner Tourism and Technology Lifetime Achievement Award“ benannt, der seit 2011 jährlich von der International Federation for Information Technologies and Travel & Tourism (IFITT) vergeben wird. Award-Gewinnerin 2020 ist Prof. Miriam Scaglione von der HES-SO Haute école spécialisée de Suisse occidentale (University of Applied Sciences and Arts Western Switzerland).

Die Kernforderungen des „Wiener Manifests“

  • Digitale Technologien sollen so gestaltet sein, dass sie Demokratie und Inklusion fördern.
  • Privatsphäre und Redefreiheit sind Grundwerte, die im Mittelpunkt unserer Aktivitäten stehen sollen.
  • Es müssen wirksame Vorschriften, Gesetze und Regeln festgelegt werden, die auf einem breiten Diskurs beruhen.
  • Die Regulierungsbehörden müssen gegenüber Technologiemonopolen intervenieren.
  • Entscheidungen, deren Folgen die individuellen oder kollektiven Menschenrechte betreffen können, müssen weiterhin vom Menschen getroffen werden.
  • Wissenschaftliche Ansätze über verschiedene Disziplinen hinweg sind Voraussetzung, um die Herausforderungen zu meistern.
  • Es bedarf einer Vision für neue Bildungsinhalte, die Wissen aus den Geistes-, Sozial- und Ingenieurwissenschaften kombinieren.
  • Universitäten sind der Ort, an dem neues Wissen erzeugt und kritisches Denken geschärft wird.
  • Akademische und industrielle Forscher*innen müssen sich in einem offenen Dialog mit der Gesellschaft auseinandersetzen und ihre Ansätze reflektieren.
  • Praktiker*innen auf der ganzen Welt sollen sich der gemeinsamen Verantwortung für die Auswirkungen der Informationstechnologien stellen.
  • Die Ausbildung in der Informatik und die Bildungsarbeit über ihre gesellschaftlichen Auswirkungen muss so früh wie möglich beginnen.

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