AUSTRIAN CONVENTION BUSINESS MAGAZIN (PRINT 2023/02)
Doch anders als bei den Enduser:innen, bei denen ChatGPT in aller Munde ist, zählen hier Produkte oder Unternehmen wie 42Chat, Zenus oder Swapcard
Sie ist nichts Neues, die Künstliche Intelligenz. Aber seit Erscheinen von ChatGPT (das Kürzel steht für „Chatbot Generative Pretrained Transformer“) der Firma OpenAI Ende November 2022 hat dieser Chatbot so schnell wie kein anderes Produkt die 100-Millionen-Nutzer:innen-Marke geknackt. Benötigte das Smartphone dafür noch 16 Jahre und Facebook 4,5 Jahre, zogen bei ChatGPT zum Erreichen dieser Größenordnung gerade mal 2 Monate (!) ins Land.
Kein Wunder also, dass Google darob bereits den „Code Red“ – also den Alarm – ausrufen ließ, denn es sieht das eigene Geschäftsmodell in Gefahr. Gleichzeitig werden weltweit intensiv Diskussionen darüber geführt, ob und wie sehr sich unser aller Zukunft durch KI-Lösungen gestalten lässt bzw. wie es bezüglich der Gefahrenmomente aussieht. Dies betrifft natürlich auch die MICE-Branche.
Zurück geht der Begriff „Künstliche Intelligenz“ auf eine Anregung des Programmierers John McCarthy, als im Rahmen einer Konferenz am Dartmouth College im US-Bundesstaat New Hampshire im Jahr 1956 das erste KI-Programm der Welt geschrieben wurde. 10 Jahre später erfand der deutsch-amerikanische Informatiker Joseph Weizenbaum vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) ein Computerprogramm namens „ELIZA“, das mit Menschen kommunizierte – es markierte die Geburt des ersten Chatbots.
Das erste Mal so richtig in die Schlagzeilen schaffte es KI mit der Schachmaschine „Deep Blue“ von IBM, die 1997 den damals amtierenden Schachweltmeister Garry Kasparov bezwang. In den Alltag drang KI dann 2011 durch Sprachassistenten à la „Apple Siri“ ein.
Ungeachtet dessen steht die Entwicklung der KI noch relativ am Anfang. Was nichts daran ändert, dass sich auch der MICE-Bereich intensiv damit beschäftigt und zwar nicht erst seit kurzem. So befasste sich bereits 2019, also mehr als dreieinhalb Jahre vor dem Start von ChatGTP, ein Beitrag des MICE Intelligence Centers des TCEB (Thailand Convention & Exhibition Bureau) unter dem Titel „Artificial Intelligence Key to the Future for MICE Industry“ intensiv mit diesem Thema.
Damals ging der „Worldwide Artificial Intelligence Spending Guide“ der International Data Corporation (IDC) noch davon aus, dass die weltweiten Ausgaben für KI-Systeme (einschließlich Software, Hardware und Dienstleistungen) im Jahr 2022 rund 77,6 Mrd. US-Dollar erreichen würden – mehr als das Dreifache jener 24,0 Mrd. Dollar, die noch für 2018 angeführt wurden. Die Realität sieht anders aus: Denn im September 2022 schätzte das IDC die weltweiten KI-Ausgaben für besagtes Jahr bereits auf 118 Mrd. US-Dollar, also um 50 % mehr als ursprünglich gedacht.
Der Grund für diese Dynamik liegt u. a. in den Pandemie-Jahren, welche den Einsatz von Artifical Intelligence beschleunigt haben. Nicht zuletzt durch den globalen Fachkräftemangel sind Unternehmen nun eher bereit, Effizienzvorteile und verbesserte Fähigkeiten von KI-Systemen zu nutzen. Ebenso kommunizieren Besucher:innen anders als noch vor 10 Jahren.
Wie also lassen sich KI-Lösungen in der MICE-Branche einsetzen? Vielfach, worauf die unterschiedlichen Beispiele schließen lassen, die bislang KI einsetzen, um besser auf die Bedürfnisse von Teilnehmer:innen einzugehen. Eines davon betrifft „DriveBot“. Entstanden ist es laut dem TCEB-Papier über „Artificial Intelligence“ aus einer Partnerschaft zwischen der „Monterey Car Week“ (einem alljährlich in Kalifornien stattfindenden Oldtimer-Event mit an die 30 Veranstaltungen, darunter Autoshows, Rennen und Auktionen) und dem in Salt Lake City beheimateten Spezialisten für KI-Anwendungen „42Chat“.
Laut TCEB verbessert das Chatbot System „mithilfe von KI die generelle Besucher:innen-Experience während des Events“. „DriveBot“ gab lockere, witzige Antworten auf Fragen bezüglich der Event-Location, des Fundbüros sowie anderer wichtiger Termine und schuf dadurch die Atmosphäre eines persönlichen, zwanglosen Gespräches, fast so, als würde man mit einem menschlichen Angestellten sprechen.
„DriveBot“ griff laut Chuck Elias, Mitbegründer und CEO von 42Chat, auf die gesamte Event-Datenbank zu sowie auf Inputs von Mitarbeiter:innen des Info-Counters. Dadurch war „DriveBot“ in der Lage, mehr als 400.000 Anfragen zu 30 verschiedenen Themengebieten zu beantworten. Informationen von 42Chat zufolge, konnten dadurch rund 95 % der Besucherfragen zufriedenstellend gelöst werden. Nur in 5 % der Fälle war noch ein Gespräch mit realen Menschen erforderlich.
Ähnlich wie bei Airlines, wo anstatt Reisedokumenten beim Einsteigen das Gesicht als Reise-ID verwendet wird (ein Beispiel dafür sind die „Star Alliance Biometrics“, die Miles & More Teilnehmer:innen auf Austrian-, Lufthansa- und SWISS-Flügen in Wien, Frankfurt, Hamburg und München nutzen), können auch Meetings oder Events durch Gesichtserkennung Besucher:innen einen nahtloser Check-in-Vorgang ermöglichen.
Laut einer Umfrage des auf Event-Registrierung und -Ticketing spezialisierten US-Anbieters Aventri (vor einem Jahr mit dem Event-Tech-Unternehmen MeetingPlay fusioniert; beide treten seit Oktober 2022 unter dem neuen Namen „Stova“ auf), stellen für 42 % der Meetingplaner weltweit Registrierung und Check-in-Vorgänge die größten Hürden im Zuge von Events dar. Daher ermöglicht ein schnelleres Check-in nicht nur ein besseres Gesamterlebnis für Besucher:innen, sondern vermindert auch für Veranstaltungsplaner:innen den Druck.
Allerdings steckt die Gesichtserkennungstechnologie noch immer in der Entwicklungsphase. Auch Fragen des Datenschutzes sind noch zu klären. Aus diesem Grund hat das US-Startup Clearview AI im Vorjahr den Verkauf seines Gesichtserkennungsprodukts eingestellt und Amazon zuvor die Nutzung seiner Gesichtserkennungssoftware eingeschränkt, ebenso wie IBM und Microsoft. Das in den USA beheimatete, auf Events spezialisierte Startup Zenus, das eine eigene Gesichtserkennungstechnologie entwickelte, um den Check-in-Prozess zu beschleunigen, erhielt im Herbst vergangenen Jahres 3,2 Mio. Dollar als Startkapital für einen ethischeren Ansatz bei der Gesichtserkennung.
Zenus gilt seit Jahren als Marktführer für Gesichtserkennungslösungen in der Veranstaltungsbranche. Unter anderem wird die Technologie auf der Event Tech Live im November in London eingesetzt. Für Panos Moutafis, den CEO und Mitbegründer von Zenus, steht fest: „Bevor uns die Gesichtsanalyse ein angenehmeres Leben ermöglicht, müssen wir erhebliche technische Herausforderungen und Datenschutzbedenken überwinden.“ Denn letztendlich gehe es auch darum, die Privatsphäre der Menschen zu schützen.
Als Hauptgründe, um ein Meeting oder Event zu besuchen, gelten in der Regel Kommunikation, Lernen und das Abschließen von Geschäftsverträgen. Hier kann KI-Matchmaking eingesetzt werden (Algorithmen, die auf „deep learning“ basieren und damit Personen sowie Dinge selbstständig klassifizieren), um zu einer höheren Besucher:innen-Zufriedenheit zu gelangen. „Deep learning“ hilft also, Infos über Networking-Vorlieben der Besucher:innen zu sammeln und sie in verschiedene Geschäftsgruppen einzuordnen. Außerdem ermöglicht es Gästen, ihre eigene Agenda zu erstellen sowie Meetings mit Personen zu fixieren, die ihren Bedürfnissen am ehesten entsprechen. Teilnehmer:innen werden zudem vor, während und nach dem Event durch KI-Matchmaking erkannt und mit anderen vernetzt.
Ein Beispiel dafür ist die Event-Matchmaking App „Swapcard“ des gleichnamigen in Paris ansässigen Startups (mittlerweile in 40 Ländern aktiv). Die Plattform nutzt KI, um persönliche Interaktionen bei NetworkingVeranstaltungen zu ermöglichen. Baptiste Boulard, CEO von Swapcard: „Wir stärken durch unsere Event-Plattform menschliche Verbindungen und helfen dabei, ultimative Veranstaltungserlebnisse zu liefern.“
Ein Beispiel dafür lieferte im Vorjahr die „Bosch ConnectedWorld“. Diese Veranstaltung mit 10.000 Teilnehmer:innen und über 60 Ausstellern setzt sich aus Konferenz, Ausstellung, Hackathon und verschiedenen NetworkingFormaten zusammen. Sie wurde 2022 erstmals als hybride Veranstaltung durchgeführt (davor ausschließlich live in Berlin), um die Reichweite auf ein globales Publikum auszuweiten. Swapcard hat entscheidend mit dazu beigetagen, all das zu realisieren.
KI-Matchmaking ist allerdings keine neue Errungenschaft. Es funktioniert nach denselben Prinzipien wie Facebook oder LinkedIn. Besucher:innen und Aussteller werden basierend auf ihren Interessen vernetzt. Anhand ihrer Verhaltensdaten erhalten sie Vorschläge für Meetings, Konferenzen, Events oder Ausstellungen.
Die Bedeutung von Künstlicher Intelligenz für die MICE-Branche liegt also in der Automatisierung von Aufgaben, der Personalisierung von Veranstaltungen, dem Einsatz von Chatbots und virtuellen Assistenten, der Datenanalyse, der Unterstützung virtueller und hybrider Veranstaltungsformate sowie im Risikomanagement. KI bietet vielfältige Möglichkeiten, die Effizienz, Teilnehmererfahrung und den Erfolg von Veranstaltungen weiter zu verbessern. KI verändert also auch die Veranstaltungswelt. Allerdings ist das Einhalten von Datenschutzbestimmungen und das Setzen persönlicher Grenzen wichtig. Datenschützer:innen sind sich einig: Ohne Transparenz der verwendeten Algorithmen und der Möglichkeit, die Systeme durch unabhängige Dritte überprüfen zu lassen, wird es nicht gehen.
Erstellt am: 20. Juli 2023
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